Abschiebung in Düsseldorf Der Traum von Deutschland endet im Flugzeug nach Pristina

Balkanflüchtlinge haben in Deutschland keine Chance auf Asyl. Die Politik will sie in diesen Zeiten schnell wieder in ihre Heimatländer zurückschicken. Wir durften bei einer Sammelabschiebung dabei sein.

 Bundespolizisten begleiten abgelehnte Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien im Sommer in ein Flugzeug am Düsseldorfer Flughafen.

Bundespolizisten begleiten abgelehnte Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien im Sommer in ein Flugzeug am Düsseldorfer Flughafen.

Foto: Alexandra Stolze / Bundespolizei

Irina* laufen Tränen über die Wangen. Ihr kleiner Sohn hält ihre Hand, ihr Mann hat einen Arm um sie gelegt. Sie setzt sich auf eine Bank an der Gepäckabfertigung und streicht über ihren dicken Bauch. Irina ist schwanger. Heute kommen Magenschmerzen dazu. An diesem Tag werden sie und ihre Familie in den Kosovo abgeschoben, ihre Heimat. Ihre Asylanträge wurden endgültig abgelehnt.

Die Ausländerbehörde hat die Familie in den frühen Morgenstunden abgeholt. Sie hatten nur wenig Zeit, ihre Habseligkeiten in große Koffer und Plastiktragetaschen zu packen, bevor sie zum Düsseldorfer Flughafen gefahren wurden. Jetzt schiebt ein Bundespolizist die Koffer und Plastiktaschen auf einem Gepäckwagen hinter der Familie her und hilft dabei, sie auf das Gepäckband zu heben.

Balkanflüchtlinge müssen gehen, Syrer dürfen bleiben

Dass in diesem Jahr so viel abgeschoben wird wie seit 2003 nicht mehr, gilt als Erfolg einer verschärften Asylpolitik. Balkanflüchtlinge gelten als Armutsmigranten. Sie müssen Platz machen für jene, die unsere Hilfe wirklich brauchen, argumentiert die Politik. Verkürzt heißt das, die Balkanflüchtlinge müssen gehen, die Syrer dürfen bleiben. Der Druck auf die Politik ist groß. Von 19.914 Abschiebungen, die bis Ende September bundesweit stattgefunden haben, sind 14.529 Menschen nach Albanien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzogowina und ins Kosovo abgeschoben worden. Das sind fast drei Viertel aller Fälle.

Sie werden in den meisten Fällen in sogenannten Sammelchartern abgeschoben. Die Landesregierung mietet dafür ein Flugzeug bei einer Fluggesellschaft. Die Fluggesellschaft möchte aber nicht, dass ihr Name mit Abschiebungen in Verbindung gebracht wird - deshalb darf er in diesem Text nicht genannt werden. Die Bundespolizei organisiert die Rückführungen am Düsseldorfer Flughafen. Sie finden fernab der Öffentlichkeit in einem stillgelegten Militärterminal des Flughafens statt. Die Termine bleiben geheim, auch die gescheiterten Asylbewerber werden nicht über das Datum informiert. Die Rheinische Post durfte jetzt unter strengen Bedingungen bei einer Abschiebung dabei sein, ohne Fotograf. Für die Menschen ist es eine Ausnahmesituation, sie sind mit sich selbst beschäftigt, sprechen kaum Deutsch. Mit der Presse reden will keiner.

Die Bundespolizei leitet die Rückführung

Leiter der Rückführung ist Bundespolizist Norbert Hillenbrand. Er wird später mit im Flugzeug sitzen und Irinas Familie an die Behörden im Kosovo übergeben. Der Beamte muss wissen, wenn es Probleme gibt. Deswegen informiert ihn der begleitende Arzt Clemens Wirtz über Irinas Zustand. "Keine Abschiebung um jeden Preis", lautet die Devise. Aber Irina hat keine Wahl. Der Arzt hat ihre Flugtauglichkeit bestätigt - und das heißt, sie muss fliegen.

 Leitet die Abschiebungen in Düsseldorf: Bundespolizist Norbert Hillenbrand.

Leitet die Abschiebungen in Düsseldorf: Bundespolizist Norbert Hillenbrand.

Foto: Hein

Draußen vor dem Terminal warten die nächsten Familien in Kleinbussen. Sie werden von Mitarbeitern der Ordnungsämter und Ausländerbehörden ihres Wohnorts begleitet und nach und nach herein geführt. Manche kommen vom Niederrhein. Rund 150 Menschen aus Albanien und dem Kosovo werden an diesem Tag abgeschoben, hauptsächlich Familien mit Kindern. Das Flugzeug fliegt nach Tirana und Pristina. "Manche reisen auch freiwillig aus, weil sie kurz vor Weihnachten noch nach Hause wollen", sagt Hillenbrand.

Die Mitarbeiter der Ausländerbehörden geben die Passdokumente und die Flugfähigkeitsbescheinigung am Check-in-Schalter ab, dann dürfen die Familien ihr Gepäck aufgeben. Während Irina wartet, ist noch eine andere Familie dran. Die beiden Kinder tragen Schulranzen und halten mit Gas gefüllte Flugzeug-Luftballons in der Hand, die etwas schlaff geworden sind. "Die müssen hierbleiben", sagt die Mitarbeiterin am Gepäckband und deutet auf die Ballons.

Als Irina und ihre Familie ihre Koffer aufgegeben haben, bekommen sie eine Bordkarte. Ein Bundespolizist hakt die Namen der Passagiere auf einer Liste ab, er teilt der Familie einen Kollegen zu, der sie auf dem Flug begleitet.

Die Begleiter warten hinter Flatterband, bis sie aufgerufen werden. Sie tragen Zivilkleidung und sind nur an ihrer neongelben Polizeiweste zu erkennen. Hillenbrand trägt einen dunklen Anzug mit Hemd und Krawatte, es gibt Kaffee und Kekse.

Für Irina und ihre Familie gibt es Lunchpakete mit einer Flasche Pellegrino-Wasser, einem Apfel, zwei belegten Broten und einem Schokoriegel. Die junge Frau hat sich mittlerweile beruhigt. Sie sagt, sie will fliegen. Sie und ihre Familie müssen noch durch die Passkontrolle und den Sicherheitscheck. Danach geht es in den Warteraum.

Vom Check-in bis zum Boarding wirkt alles professionell und gut organisiert. Alles geht zügig, niemand muss lange warten. Und doch ist nichts Routine, weder für Hillenbrand noch für Irina: Hillenbrand hat 500 Überstunden und kurz vor Weihnachten noch seinen gesamten Jahresurlaub übrig. Für die schwangere Frau ist es der erste Flug in ihrem Leben, ihr Sohn ist noch nie zuvor in Pristina gewesen.

 Ein Bundespolizist räumt Plastiktaschen auf die Gepäckkontrolle.

Ein Bundespolizist räumt Plastiktaschen auf die Gepäckkontrolle.

Foto: Hein

Irina lässt sich in einer Ecke der Wartehalle nieder. Zwischen den Sitzreihen flitzen Kinder hin und her. Ein junger Mann geht mit einer Zigarette im Mundwinkel unruhig auf und ab, anstecken darf er sie hier nicht. Eine alte Frau, die scheinbar alleine reisen muss, sucht sich einen Platz abseits des Trubels. Männer in Jogginghose stehen in Gruppen beieinander und reden, einige versuchen per Smartphone die Familie daheim zu informieren.

Dr. Wirtz sieht nach Irina. Er wird im Flugzeug dabei sein und ihr helfen. Wirtz muss noch einen Patienten mit Diabetes und einen Frischoperierten im Auge behalten. Aber alle können mitfliegen, so sein Eindruck. "Ich kann verstehen, dass man lieber in Deutschland bleiben will, wenn man schwanger ist, aber das geht nicht", sagt der Arzt.

Auch Einsatzleiter Hillenbrand behält den Warteraum im Blick. "Alle hier wissen im Grunde schon lange, dass sie nicht bleiben können", sagt er. Und doch wird es den meisten erst jetzt bewusst. Eine Frau hat den Kopf in die Hand gestützt und jammert leise vor sich hin. Vielen ist von Schleusern alles versprochen worden, ein Job, eine Wohnung, Geld, sagt Hillenbrand. Zu Hause müssen sie von vorne anfangen. Ihr Hab und Gut haben die Familien oft versetzt, um Geld für Schleuser zu haben. Der Traum von einem besseren Leben endet hier in dieser Wartehalle.

"Natürlich spüren wir, dass die Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation sind", sagt Hillenbrand. "Jeder Polizist ist auch ein Mensch." Er und seine Kollegen sind die Vollstrecker einer Entscheidung, die der Rechtsstaat getroffen hat. "Die Bundespolizisten sind bei der Einreise die ersten, die die Leute sehen, und bei der Ausreise die letzten", sagt Hillenbrand. "Was dazwischen passiert, wissen wir nicht."

Seit 15 Jahren macht er den Job, eine Familie hat er nicht. Wenn der Polizist Flüge begleitet, sind 15-Stunden-Tage üblich. Um 7 Uhr geht es los, dann kommen die ersten Kleinbusse an. Bei kurzen Flugstrecken wie in den Balkan fliegen die Polizisten am selben Tag zurück. Gegen 21 Uhr wird er wieder in Düsseldorf sein. "Ich möchte aber nicht jammern. Ich mache das hier freiwillig", sagt er. Bundespolizisten können sich aus freien Stücken für eine Weiterbildung melden, um bei Abschiebungen als Begleiter mitzufliegen.

Auch wenn alles friedlich und ruhig abläuft und die Polizisten sich mit ihren Passagieren radebrechend unterhalten, täuscht nichts darüber hinweg, dass sie einen Auftrag erfüllen. Die Polizisten sind nicht das nette Bodenpersonal, sondern dafür ausgebildet einzugreifen, wenn es ernst wird. "Es kommt selten vor, dass Leute sich mit Gewalt wehren — selbst bei Straftätern", sagt Hillenbrand. Aber keiner der Polizisten trägt an Bord eine Waffe. Dort hat der Pilot das Kommando. Im Zielland haben deutsche Polizisten ohnehin keine Hoheitsrechte.

Für die Flugzeug-Crew ist es oft ihr sicherster Flug

Manchmal, erzählt Hillenbrand, fragt ihn die Flugzeugcrew bei der Vorbesprechung an Bord mit dem Piloten, wie gefährlich dieser Flug werde. Er antworte dann immer, dass das vermutlich der sicherste Flug ihres Lebens sei, weil 30 bis 40 Polizisten an Bord seien. Die Crew solle die Menschen einfach wie normale Passagiere behandeln. Oft stellten die Crewmitglieder nach dem Flug fest, dass das ihr bislang ruhigster Flug gewesen sei.

Es ist mittlerweile halb 12, in einer halben Stunde soll der Flieger abheben. Während am Check-in noch die letzte Familie wartet, steigen die ersten in den Bus zum Flugzeug. Das Rollfeld des Düsseldorfer Flughafens ist der letzte Ort in Deutschland, den die Albaner und Kosovaren betreten. Ein junger Mann kann den Weg vom Terminal zum Flieger nicht alleine zurücklegen: Er hatte am Vortag eine Fuß-Operation, beide Füße haben einen dicken Verband. In seine Schuhe passt er nicht rein. Er wird im Rollstuhl zum Flugzeug gebracht und ist der erste Passagier, der das Flugzeug zurück in die Heimat besteigt.

Auch für Norbert Hillenbrand wird es Zeit. Er wird nun mehr als acht Stunden im Flieger sitzen. Und morgen früh geht alles wieder von vorne los. Dann wartet wieder ein 15-Stunden-Tag auf ihn.

*Name geändert

(heif)
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