Neues Lebensgefühl 60 ist die neue Lebensmitte

Düsseldorf · Sie arbeiten länger, halten sich fit und sind das Gegenteil von alt: Menschen zwischen Ende 50 und Mitte 60. Genau dieser Trend ist in Düsseldorf besonders sichtbar.

 "Im Kopf jung zu bleiben, ist genauso wichtig wie das Training", sagt Beate Kaiser. Dreimal in der Woche geht die 62-Jährige ins "Fitness First".

"Im Kopf jung zu bleiben, ist genauso wichtig wie das Training", sagt Beate Kaiser. Dreimal in der Woche geht die 62-Jährige ins "Fitness First".

Foto: Andreas Endermann

Beate Kaiser kennt sich aus mit Hanteln. Drei mal die Woche kommt die 62-Jährige ins Fitnessstudio. Ausfallen lässt sie ihr Training so gut wie nie. "Der Sport ist meine Struktur", sagt die vor kurzem pensionierte Finanzbeamtin. Kaiser steht für eine Generation, zu der das Wort "alt" einfach nicht passt. "Mitten im Leben" trifft es wohl besser: das Lebensgefühl der jung Gebliebenen um die 60.

"Und das gilt ganz besonders für Düsseldorf", sagt Michael Falkenstein. Die NRW-Landeshauptstadt setze da eigene Maßstäbe, weiß der Arzt, Psychologe und Altersforscher. Der 68-Jährige berät den Düsseldorfer Gesundheitsdienstleiter Preveo, arbeitet zudem am Institut für Arbeitsforschung in Dortmund. "Gerade in Düsseldorf hält man viele 60-Jährige für jünger, im nördlichen Ruhrgebiet sieht das schon ganz anders aus", sagt er. Ein Unterschied, der viel mit Berufen, Einkommen und Sozialstruktur zu tun habe.

Entwicklung ist auch am Arbeitsmarkt sichtbar

Wie dynamisch die Generation zwischen 57 und Mitte 60 ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Gab es 1996 zum Stichtag 30. Juni rund 7900 Arbeitslose, die 55 Jahre oder älter waren, lag diese Zahl im vergangenen Jahr nur noch bei 4750. Nicht nur die absolute Zahl ging zurück, auch der Anteil dieser Gruppe an den Arbeitslosen insgesamt sank im gleichen Zeitraum von rund 24 auf unter 19 Prozent. Umgekehrt stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 55 bis 64 Jahren von 23.330 im Jahr 2008 auf 33.000 im vergangenen Jahr.

"In unserer Branche war man früher mit 40 auf dem Höhepunkt, mit 50 gefährdet und mit 60 fast schon scheintot", sagt Christian Rätsch, in Düsseldorf arbeitender Vorstandschef Deutschland der Werbeagentur Saatchi&Saatchi. Doch das habe sich geändert. Der 45-Jährige nennt den bundesweit beachteten Top-Kreativen Jean-Remy von Matt (64) als Beispiel. Längst nehme die Branche die Generation "55 plus" gezielt in den Blick. "Reisen, Automobile, Kosmetik, digitale Geräte - da geht sehr viel", sagt Rätsch und findet es positiv, dass die Arbeitswelt sich vom Jugendwahn verabschiedet hat. "Konzerne wie Henkel haben Tandem-Modelle etabliert, bei denen jüngere und ältere Führungskräfte sich in einem Team ergänzen, Digitalisierungs- und Erfahrungswissen zum Nutzen aller zusammenführen", sagt Rätsch.

Trend zur zweiten Karriere

Kennzeichnend für Männer und Frauen um die 60: der Start einer zweiten Karriere. "Das kann eine berufliche Aufgabe sein, die eher beratend ist und nicht mehr unter einem täglichen Erfolgsdruck steht, es kann aber genauso darum gehen, Ehrenämter zu übernehmen, sich im Seniorenrat zu engagieren oder die Enkel regelmäßig zu betreuen, weil beide Eltern arbeiten", sagt Falkenstein. Entscheidend bei diesen Aktivitäten sei das richtige Maß. "Auf einen Marathonlauf über die volle Distanz sollten die meisten ab 60 lieber verzichten. Es sollte nicht darum gehen, anderen oder sich selbst etwas zu beweisen", meint der Wissenschaftler. Mindestens so wichtig, wie eine leichte, aber regelmäßige sportliche Betätigung sei die Bereitschaft, zu lernen. "Wer in Archive geht und dort nach seinen Vorfahren forscht, macht es genau richtig: Er macht etwas an sich Zweckfreies, was ihm viel Spaß macht und dabei das Gehirn frisch hält", sagt Falkenstein.

"Im Kopf jung zu bleiben, ist das Wichtigste", sagt auch Beate Kaiser. Lesen, Reisen nach Andalusien und Italien, anregende Gespräche mit Freunden- das alles ist für sie genauso wichtig wie das Training an Geräten. In ihrem Freundeskreis sind die meisten jünger als sie. Das spiegelt sich auch in ihrem Musikgeschmack wieder. "Ich stehe auf Deep House und Soul, zu meinen favorisierten DJs zählt Kay Marx", sagt die verwitwete Frau. Ihren Beruf vermisst sie nicht. "Einige Kollegen fehlen mir, aber sicher nicht der Job als solcher." Im Gegenteil: Nicht mehr um halb sechs aufstehen zu müssen, und "mit ausführlicher Zeitungslektüre gelassen in den Tag zu starten", findet sie einfach "wunderbar". Und was schätzt die Golzheimerin an ihrem neuen Lebensabschnitt am meisten? Über die Antwort muss Beate Kaiser nicht lange nachdenken: "Freiheit", sagt sie und hüpft aufs Laufband.

(jj)
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