Dormagen Redegewandte Experten für die Heimat-Historie

Dormagen · Auch wer glaubt, alles über seine Heimat zu wissen, kann bei geführten Spaziergängen überrascht werden. Die Gästeführer Helmut Wessels, Angelika Dappen und Marita Fischer bringen Geschichte näher.

 Helmut Wessels führt als Stadtschreiber Christianus Wierstrat durch die Stadt Neuss und hat auch schauerliche Geschichten auf Lager.

Helmut Wessels führt als Stadtschreiber Christianus Wierstrat durch die Stadt Neuss und hat auch schauerliche Geschichten auf Lager.

Foto: Woitschützke

Den falschen Kaiser von Neuss kennt heute kaum jemand. "Es war der Scharlatan Tile Kolup. Er nutzte den Glauben an die Rückkehr des 1250 gestorbenen Kaisers Friedrich. 1284 kam er nach Neuss und ließ sich ein Jahr lang feiern", erzählt Helmut Wessels, der als Stadtschreiber Christianus Wierstrat durch die Stadt führt. In einem Haus über dem Markt hielt Kolup Hof, gab Feste, verlieh Urkunden. Dann zog er nach Wetzlar. Dort glaubte man ihm weniger. 1285 wurde er als Ketzer verbrannt.

Eine weitere oft vergessene Figur ist die Hexe von Neuss. "Hester Jonas wurde Ende 1635 wegen Zauberei verhaftet. Auf einem mit Eisennägeln gespickten Stuhl folterte man sie so lange, bis sie zugab, Unzucht mit dem Teufel getrieben und Menschen durch Zauber geschadet zu haben", sagt Wessels. "Die Hexe von Neuss" wurde am 24. Dezember 1635 enthauptet. Ein Nachbau des Hexenstuhls steht im Kehlturm.

"Sie hatten die Freiheit, sich durch die Stadt tragen zu lassen und mit der Kutsche nach außerhalb zu fahren, die zum Beweis ihrer Bescheidenheit gilt." Schelmisch lächelnd zitiert Helmut Wessels den Satz aus einem Reisebericht Gabriel Tetzels, der Neuss 1467 besuchte. "Es geht um die unverheirateten Adels-Frauen, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts im Stift St. Quirin lebten. Sie hatten alle eigene Diener und lebten in recht großem Wohlstand", so Wessels.

Wenn Angelika Dappen als "Zonser Waschweib" die Gäste durch "ihr" Zons führt, greift sie gern auf Erinnerungen ihrer Großmutter zurück. "Sie hat die vielen Hochwasser miterlebt, die Zons bis zum Bau des Deichs heimsuchten. Damals hielt jede Familie im Untergeschoss mindestens eine Ziege als Milch-Lieferanten. Damit die Tiere nicht ertranken, wurde im Obergeschoss eine Mauer durchbrochen. Dann lebten die Tiere mit der Familie. Nach dem Hochwasser wurde die Wand wieder zugemauert - bis zum nächsten Mal." Das kleinste Haus von Zons stand neben dem Mühlenturm. Ein blauer Farbfleck lässt die Umrisse erahnen. "Es hatte nur ein Fenster und eine Tür. Darin lebte der Müllerknecht mit Frau und fünf Kindern", erzählt Angelika Dappen. Die Farbe ist eine spezielle Mischung auf Ölbasis. Sie widerstand dem Wasser und verbirgt sich heute unter mancher Tapete in Zons.

Ins Staunen bringt Angelika Dappens Gäste stets die alte Stadtmauer. Die gut erhaltene Befestigungsanlage von Zons ist einzigartig im Rheinland. "Die Mauer hat allen Kriegen getrotzt. Gebaut ist sie aus Basaltsteinen, die über den Rhein transportiert wurden. An langen Leinen gezogen, glitten die Lastschiffe über den Fluss. Dazu wurden am Ufer Treidelpfade angelegt, auf denen Knechte und Treidelpferde diese schwere Aufgabe verrichteten", erklärt "das Waschweib".

Marita Fischer liebt ihren Arbeitsplatz. Seit 2002 bietet sie Führungen durch Schloss und Park Dyck an. "Es ist ein zauberhafter Ort", schwärmt sie. Der 1819 im Stil eines Englischen Landschaftsgartens angelegte Schlosspark bietet eine eindrucksvolle Pflanzenwelt: die Sumpfzypresse aus Florida zum Beispiel. Sie steht schon seit 1815 am Schloss. Die Tulpenbäume aus Nordamerika wurden 1812 gepflanzt, die 200 Jahre alte Eibe hat einen Durchmesser von rund 100 Metern. Aber auch das Schloss ist ein Juwel. Im Festsaal beeindruckt das imposante Deckengemälde. In den Räumen ist neben einer geprägten goldenen Ledertapete vom Anfang des 18. Jahrhunderts eine chinesische Seidentapete von 1750 zu sehen. "Fürstin Cäcilie zu Salm-Reifferscheidt-Dyck brachte sie mit, als sie Anfang der 1960er Jahre von Schloss Alfter bei Bonn nach Dyck zog", erklärt Marita Fischer. Ein ganz besonderes Bonbon zeigt die Gästeführerin nur bei speziellen Führungen: die Schlosskapelle. "Sie ist erstmals 1351 erwähnt. 1763 erhielt sie ihre Ausstattung mit einem imposanten Deckengemälde, einem Rokkoko-Altar aus Eiche und der Marienfigur des Bildhauers Gabriel de Grupello", erzählt sie. Sonntags halten die Patres aus dem Nikolauskloster hier ihre Messe. Sonst ist die Kapelle geschlossen.

(NGZ)
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