Frauenwahlrecht in Dormagen Lale Akgün erzählt von Viagra für Genossen

Dormagen · Anlässlich des Weltfrauentages und "100 Jahre Frauenwahlrecht" las die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete in der Stadtbibliothek.

Nur einen Tag nach dem Weltfrauentag, der nicht ganz ohne Grund auch Frauenkampftag genannt wird, und im Jubiläumsjahr "100 Jahre Frauenwahlrecht" gastierte in der Stadtbibliothek eine Frau mit einer starken Stimme, der sie gerne auch schriftlich Ausdruck verleiht: Anja Stephan, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dormagen, durfte vor dem zahlreich erschienen und zumeist weiblichen Publikum Lale Akgün begrüßen, die ihr Buch "Der getürkte Reichstag" im Gepäck hatte, um daraus heitere wie erhellende Begebenheiten vorzulesen.

Akgün ist 1953 in Istanbul geboren und als neunjähriges Mädchen nach Deutschland gekommen. Sie studierte Medizin und Psychologie, arbeitete lange in der Jugendhilfe und Familienberatung, leitete dann das Landeszentrum für Zuwanderung. Und sie war von 2002 bis 2009 Bundestagsabgeordnete und migrationspolitische Sprecherin sowie Islambeauftragte der SPD. Und genau dort begann sie ihre Lesung, in einer Szene, in der sie ihrer Mutter und ihrer - aus früheren Werken bereits bekannten - Tante Semra eröffnete, dass sie als Quereinsteigerin in die Politik gehen will. "Ich habe mich nicht von unten hochgedient und Rosen an Passanten verteilt", sagt sie augenzwinkernd. Und fügt hinzu: "Die meisten Leute kennen von der Politik nur das, was sie sehen - wie bei einem Computer. Der Benutzer weiß nicht, wie er funktioniert, und will es auch gar nicht wissen. Hauptsache, er erfüllt seine Bedürfnisse."

Die ganze Familie, die nicht uninteressiert an der Politik ist - Akgüns Vater war Hobby-Politiker und zumindest in der Theorie ein Weltverbesserer -, nimmt Anteil an dem neuen Leben von Lale Akgün. Versuche, sie zu einer "weniger gefährlichen" Mitgliedschaft im Golfclub zu überreden, scheitern. "Ich wollte in die Politik, um die Lebensbedingungen in Deutschland zu verbessern, um die gesellschaftlichen Verhältnisse mitzugestalten", entgegnete sie ihrer Familie.

Im Reichstag ist die gebürtige Türkin natürlich erst einmal eine Exotin. Und die Fraktionskollegen wundern sich, dass ihr Mann sie so ganz alleine und ohne Kopftuch in die Hauptstadt gehen lässt. Und Lale Akgün muss mehr als einmal über ihren Schatten springen, zum Beispiel, um "das ganze Geduze unter den Genossen" zu ertragen und sich selber anzueignen. "Auch die Erfahrung mit meinem ersten Kölsch war keine gute, ich mag nämlich keinen Alkohol und vertrage auch nichts", erinnert sie sich.

Schnell verdeutlicht sie, was "gelungene Integration" bedeutet - sie reiste sogar mit einer ellenlangen Wunschliste in den Heimaturlaub, um preisgünstiges Viagra zu besorgen, nachzulesen im Kapitel "Blaue Pillen für rote Genossen".

Lale Akgün begeisterte ihr Publikum mit ihren heiteren und liebevollen Einblicken unter die Kuppel des Reichstags, in die Hinterzimmer einschlägiger Kneipen und mit ihrer Verbindung zweier besonderer Systeme: Familie und Politik. Das gelingt ihr so amüsant und in leichtem Schreibstil, dass sich an manchen Stellen niemand ein lautes Lachen verkneifen konnte.

(vest)
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