Hintergrund Wie jüdische Kinder in Belgien Schutz fanden

Dinslaken · Die Dinslakenerin Anne Prior arbeitet mit an dem Ausstellungsprojekt "80 Jahre Kindertransporte aus dem Rheinland und Westfalen" des Lern- und Gedenkortes Jawne in Köln. 2018 soll die Präsentation gezeigt werden. Sie berichtet von einer weiteren Recherchereise nach Belgien.

 Avri Gershon aus Israel schickte dieses Foto von der Fußballmannschaft des Dinslakener Waisenhauses, wahrscheinlich aufgenommen 1938.

Avri Gershon aus Israel schickte dieses Foto von der Fußballmannschaft des Dinslakener Waisenhauses, wahrscheinlich aufgenommen 1938.

Foto: PR

Unsere zweite Recherchereise nach Belgien führte Adrian Stellmacher und mich im Sommer zum Martin-Buber-Institut der Universität Brüssel. Freundliche Mitarbeiter hatten uns eine letzte Gelegenheit ermöglicht, im "Archiv Max Gottschalk" zu recherchieren, bevor es zwecks digitaler Archivierung nach Washington gebracht wurde. Max Gottschalk war der Vorsitzende des 1938 gegründeten "Komitees zur Unterstützung jüdischer Flüchtlinge" in Belgien und Gründer des Instituts. Ohne das Engagement des Belgiers mit deutschen Wurzeln wären die Kindertransporte in unser Nachbarland nicht möglich gewesen.

Im Archiv fanden wir einen Aktenordner, der uns wichtige Informationen zu einigen Jugendlichen gab, die im Israelitischen Waisenhaus Dinslaken gelebt hatten. Sie waren nach ihrer Ankunft in Belgien Ende 1938 zunächst zur Erholung in der "Villa Johanna" bei Ostende untergebracht worden, bevor sie in ein vom jüdischen Hilfskomitee errichtetes Kinderhaus gelangten. Die religiös erzogenen Jungen unter ihnen zogen jedoch bald in das von dem Deutschen Jonas Tiefenbrunner geleitete Kinderheim "Villa Jeanne" nach Heide bei Antwerpen. Hier wurde nach den jüdischen Geboten und Regeln gelebt, so wie es die Kinder und Jugendlichen aus ihren Elternhäusern und dem Dinslakener Waisenhaus kannten.

 Dankesbrief für die Übersendung eines Fußballs.

Dankesbrief für die Übersendung eines Fußballs.

Foto: Anne Prior

Ende Juni 1939 bedankten sich die Jugendlichen für die Übersendung eines Fußballs und eines Schachspiels an die "Damen des Comités für jüdische Flüchtlingskinder" mit einem Brief:

"Sehr geehrte Damen! Wir erhielten dieser Tage das Paket mit dem Fußball und dem Schachspiel. Wir können Ihnen nur schreiben, daß unsere Freude riesengroß war ..." Ein Foto fiel mir ein, das mir Avri Gershon aus Israel, der als Arnold Gerson im Waisenhaus gelebt hatte, ein Jahr zuvor geschickt hatte. Es zeigt die Fußballmannschaft des Waisenhauses mit ihrem Trainer und wurde vermutlich im Sommer 1938 aufgenommen. Einige Jugendliche auf dem Bild hatte ich identifizieren können: ganz rechts steht Kurt Korona, als vierter von rechts erkenne ich Hans Isaacson, ganz links steht Klaus Sostheim mit Baskenmütze, als dritter von links vermutlich Heinz Eschwege, als fünfter Josef Gerler, untergehakt beim Trainer. Vorne rechts sitzt Erwin Eichengrün. Er und Hans Isaacson lebten nicht im Waisenhaus, sondern bei ihren Familien in Dinslaken.

Nur ein Jahr später bedankten sich Kurt Korona und Heinz Eschwege sowie Fritz Ehrlich, Josef Seligmann und Josef Axel-Thaler aus dem Waisenhaus für den Fußball, der ihnen vom belgisch-jüdischen Kinderhilfskomitee gespendet wurde. Dazwischen lagen die schrecklichen Ereignisse vom 10. November 1938, die Flucht von Dinslaken nach Köln und der sich anschließende Kindertransport nach Brüssel.

Ohne die Hilfe von Menschen wie Käte Rosenheim von der "Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Abteilung Kinderauswanderung", den "Damen des Comités" in Brüssel und Max Gottschalk wären die Kindertransporte nicht möglich gewesen. Die Kinder und Jugendlichen lebten geschützt im sicheren Nachbarland, bevor sie ab Mai 1940 durch den Einmarsch deutscher Truppen und die sich anschließende Besatzung in tödliche Gefahr gerieten.

Max Gottschalks familiäre Wurzeln mütterlicherseits lagen in Dinslaken: nur wenige Meter vom späteren Standort des Waisenhauses entfernt wurde seine Mutter Wilhelmine Moses geboren. Ihre ersten Ehejahre verbrachte Wilhelmine Moses-Gottschalk in Dinslaken. Später zog sie mit ihrem Ehemann Samuel nach Lüttich, wo 1889 ihr Sohn Max auf die Welt kam.

(RP)
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