Dinslaken Wie der Krieg in ein Leben einbricht

Dinslaken · Adnan Köse las im Café Kostbar aus Sasa Stanisics Episodenroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert". Wortgewaltige Bilder über eine Kindheit im Bosnienkrieg und auf der Flucht.

 Regisseur Adnan Köse liest aus dem Buch, dessen Verfilmungsrechte er sich gesichert hat.

Regisseur Adnan Köse liest aus dem Buch, dessen Verfilmungsrechte er sich gesichert hat.

Foto: Jochen Emde

Der Einbruch eines Krieges in ein zuvor intaktes Leben, Gewalt, Zerstörung, Flucht. Die Themen sind omnipräsent, jeden Tag in den Medien. Aber wie es sich wirklich anfühlt, als Kind mit seiner Familie solche Situationen durchzustehen, können Fernsehbilder nicht zeigen. Stärker sind Schilderungen eigener Erlebnisse, Abrisse des Erlebten, ja auch poetische Wortmalerein, die stark genug sind, die Fakten zu veranschaulichen, indem sie starke Bilder in den Köpfen der Leser und Hörer entstehen lassen. Sasa Stanisic ist dies mit seinen Erinnerungen an eine Kindheit im Bosnienkrieg gelungen. Am vergangenen Sonntag las Adnan Köse im Café Kostbar an der Duisburger Straße aus dem Episodenroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert".

Stanisic schildert die Geschichte des Jungen Aleksandar Krsmanovic zunächst in kindlich-unverblümter Sprache. Unmittelbar, unbedacht, entlarvend. Er erzählt von Vaters gelben "Yugo", der als Neuwagen schon grundsätzlich auf dem Weg zu den Urgroßeltern versagt, aber immer wieder auf dem Heimweg auf wundersame Weise repariert scheint.

Berichtet wird von den Urgroßeltern, die im bosnischen Nest Visegrad immer ihrer Zeit voraus waren und deshalb auch als erstes ein Innenklo installieren. Die Schüssel wird mit einem Nachbarschaftsfest samt Probesitzen eingeweiht. Der Rückstand im Bezug auf sanitäre Anlagen war im letzten Drittel des 20. Jahrhundert die wahre Kluft zwischen West- und Osteuropa.

Tragikomisch ist das alles noch, vollgepackt mit Dorfleben und Charakterköpfen. Dann rollen die Panzer und es kommen die Männer, deren Fäuste nicht nach Seife, sondern nach Eisen riechen. Sasa Stanisics Sprache wandelt sich, sie fasst das Unsagbare in Worte voller Poesie. Und gerade durch dieses Paradox, durch diese Erhebung über die Realität wird der Schrecken umso greifbarer, geht er unter die Haut.

Bei der Stürmung des Hochhauses, in dem die Familie Zuflucht sucht, stirbt ein Mann, nachdem er durch einen Schuss durchs Badezimmerfenster an Hals und Kinn gertroffen wird. Er stirbt keuchend, unfähig zu sprechen, aber in diesem Leiden hat er, so empfindet es Aleksandar, seine "wortlose Legende" erzählt.

Und das Grammofon, mit dem sich die Soldaten Ablenkung vom eigenen Töten verschaffen wollen, schleift einer von ihnen am Schalltrichter hinter sich her, "wie eine Gans zur Schlachtbank".

Aleksandars Familie flieht. Erst nach Belgrad, wo das Kind, dessen Vater Serbe und dessen Mutter Kroatin ist, wegen seiner Herkunft von den anderen Kindern verprügelt wird. Dann nach Deutschland, in der Stadt Essen findet die Familie schließlich eine Unterkunft. Nur ein Raum, in dem alle schlafen und "in dem die Träume wütender sind als daheim".

Adnan Köse liest ruhig und einfühlsam, die Stille im sehr gut besuchten Café Kostbar wird zunehmend beklemmender.

Die Fakten: Als der Krieg begann, waren rund ein Drittel der gut 21. 000 Einwohner des bosnischen Visegrad Muslime. Vier Jahre später gab es keine mehr von ihnen in der Stadt. Denn wer damals nicht geflohen war, wurde ermordet: knapp zwölf Prozent der gesamten Einwohner.

(RP)
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