Michael Van Meerbeck "Vor allem muss man einfach da sein"

Dinslaken · Der Direktor des Caritasverbandes Dinslaken-Wesel und langjährige Notfallseelsorger berichtet darüber, wie es ist, schreckliche Nachrichten überbringen zu müssen und Angehörigen in ihrer Trauer beizustehen.

 Michael van Meerbeck im Gespräch. In seiner Zeit als Notfallseelsorger hat er vielen Menschen schlimme Nachrichten überbringen müssen und ihnen beigestanden.

Michael van Meerbeck im Gespräch. In seiner Zeit als Notfallseelsorger hat er vielen Menschen schlimme Nachrichten überbringen müssen und ihnen beigestanden.

Foto: Büttner

Herr van Meerbeck, nach so einem schrecklichen Flugzeugunglück wie jetzt in Südfrankreich stellt sich natürlich die Frage, wie man den Angehörigen helfen kann, mit dem Verlust umzugehen. Sie haben sich fast 13 Jahre lang als Notfallseelsorger engagiert, wie sind Ihre Erfahrungen?

Michael van Meerbeck Das Extreme an der Situation nach einem derartigen Flugzeugabsturz ist, dass der Mensch, den man verloren hat, tatsächlich nicht mehr da ist. Es gibt nicht einmal mehr einen Körper, von dem man sich verabschieden kann. Das macht es den Angehörigen besonders schwer, den Verlust zu verarbeiten. Aber natürlich befindet sich jeder, der den plötzlichen und unerwarteten Verlust eines ihm nahestehenden Menschen verkraften muss, in einer Extremsituation.

Wie war das, wenn Sie einem Angehörigen die schreckliche Nachricht überbringen mussten?

van Meerbeck In der Regel waren dann ja Polizeibeamte dabei. Die haben sich vorgestellt, dann mich und gesagt, dass ich Seelsorger bin. Spätestens in dem Moment war dem Angehörigen klar, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein muss. Ich habe dann die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen erlebt, Weinkrämpfe, Schockstarre, körperlicher Zusammenbruch, Aggression, Unglauben und auch - das war fast das Schlimmste - hysterisches Lachen, das gar nicht mehr aufhören wollte.

Was tut dann ein Notfallseelsorger?

van Meerbeck Er muss das zunächst einmal aushalten. Natürlich redet er mit dem Betroffenen, aber verbal lassen sich die Menschen in ihrem Schmerz kaum erreichen, mit Worten kann man sie nicht trösten, Man kann körperlichen Kontakt suchen, die Hände nehmen oder den Menschen umarmen. Aber auch das kann nicht jeder zulassen. Da muss man ein sehr sensibles Gespür entwickeln. Das Wichtigste in einer solchen Situation ist, dass man vor allem erst einmal einfach da ist.

Wie sieht das aus?

van Meerbeck Man muss praktisch eine Wand sein, der die Menschen ihre Trauer, ihre Wut, ihren Schmerz entgegenschleudern können. Aber sie dürfen natürlich nicht das Gefühl bekommen, dass an dieser Wand alles abprallt. Es geht einfach darum zuzuhören und auszuhalten. Ich bin bei meinen Einsätzen auch beschimpft oder mit der Frage konfrontiert worden, wie ich einem Gott dienen könne, der ein solch schreckliches Geschehen zulässt. Oft ist es aber einfach so, dass man mit dem Betroffenen in der Wohnung ist, in der ihn ja alles an den Menschen erinnert, den er verloren hat. Und das genau passiert dann auch. Der Mensch erinnert sich. Hier, sagt er, da in dem Fernsehsessel, da hat meine Frau immer gesessen, und wie oft haben wir gestritten, weil ich Fußball gucken wollte und sie was anderes. Solche Dinge halt. Die Erinnerung an den ganz normalen Alltag.

Wann ist der Einsatz eines Notfallseelsorgers beendet?

van Meerbeck Es ist nicht so, dass man, nachdem man die Nachricht überbracht und eine Weile mit dem Trauernden verbracht hat, einfach die Wohnung verlässt, und das war's dann. Die Verarbeitung eines solchen Unglücks kann ein langer Prozess sein mit immer neuen Gesprächen, Telefonaten, Treffen. Ich habe zeitweise 20 Menschen, die sich in einem solchen Prozess befanden, gleichzeitig betreut. Bei manchen kann das über Jahre gehen.

Was machen solche Erfahrungen mit den Überbringern der schlechten Nachricht?

van Meerbeck Ich habe zum Beispiel in diesen Einsätzen ein ganz anderes Bild von den Polizisten, die mich begleitet haben, bekommen. Polizisten erlebt man ja üblicherweise als Ordnungsmacht. Die schreiben Knöllchen, locken einen in die Radarfalle oder tun ähnlich böse Dinge. In den gemeinsamen Einsätzen habe ich erfahren, wie menschlich vielfältig die Facetten dieses Berufs sind und wie sehr er belasten kann.

Und Sie persönlich?

van Meerbeck Ich muss zugeben, dass ich mir in meiner Zeit als Notfallseelsorger kaum bewusst gemacht habe, welche Auswirkungen diese Aufgabe für mich haben könnte. Es ist ja nicht so, dass ich heute solche Gespräche gar nicht mehr führe. Es gibt immer noch Menschen, die mich einmal in einer solchen Situation kennen gelernt haben und die jetzt wieder das Gespräch suchen, weil sie die Dinge immer noch nicht verarbeitet haben oder weil sie von einem anderen Problem geplagt sind. Aber solche Gespräche sind deutlich weniger geworden und mit wachsendem Abstand spüre ich, dass ich in den Jahren als aktiver Notfallseelsorger offenbar vieles gespeichert habe, das jetzt wieder hoch kommt. Der Klang eines Martinshorns zum Beispiel kann bei mir bestimmte Assoziationen auslösen, die mit meiner Arbeit als Notfallseelsorger zu tun haben. Ich merke inzwischen, dass auch ich selbst noch einiges zu verarbeiten habe.

JÖRG WERNER SPRACH MIT DEM LANGJÄHRIGEN NOTFALLSEELSORGER MICHAEL VAN MEERBECK.

(RP)
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