Dinslaken Vor 70 Jahren: Geusenbecher geborgen

Dinslaken · Filmreif: Bei Nacht und Nebel graben am 28. Januar 1946 sechs Leute Wesels kriegssicher beerdigten Silberschatz auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße wieder aus und verstecken ihn für die nächsten Jahre in Duisburg.

Die Geusenbecher gehören zu den wertvollsten Silberobjekten der Stadt. Sie sind die Symbole für "Vesalia hospitalis", das gastfreundliche Wesel. Die Geusen (Flamen und Wallonen) bedankten sich 1578 damit für ihre Aufnahme als Glaubensflüchtlinge in Wesel. So kam die Stadt zu ihrem Ehrennamen. Kein Wunder, dass die beiden berühmten Prunkpokale gehütet werden wie Augäpfel. Die Geschichte ihrer Entstehung wird aber noch von zwei anderen filmreifen Ereignissen übertroffen: von der Beerdigung des Silbers 1944 und von seiner Bergung 1946. Diese jährt sich am Donnerstag, 28. Januar, zum 70. Mal. Das Stadtarchiv erinnert auf der städtischen Internetseite www.wesel.de an die Nacht-und-Nebel-Aktion. Auch die RP hat ihre Archive durchforstet.

Alles beginnt mit dem Näherrücken des Krieges nach der Landung der Alliierten in der Normandie 1944. Noch ist Alt-Wesel weitgehend unversehrt. Doch gibt es natürlich keine Garantie, dass dies so bleibt. Noch während alliierte Truppen den Rhein bei Arnheim überschreiten wollen, schreitet Wesels Stadtspitze sicherheitshalber zur Tat: Am 21. September werden die beiden Geusenbecher und weitere Silbergefäße in einem Sarg auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße zu Grabe getragen. Der Kreis der Eingeweihten ist klein. "Das Begräbnis wurde in einer Urkunde festgehalten, die auch genau über den Inhalt des Sarges informierte und in einer in einem Behältnis verschlossenen Ausfertigung dem Stadtoberinspektor August Lisner übergeben wurde. Die andere Ausfertigung nahm Bürgermeister Otto Borgers an sich. Ebenfalls eingeweiht waren der Beigeordnete Hans Kampen sowie der Gartenarchitekt Wilhelm Sardemann", berichtet das Stadtarchiv.

Autorin Erna Adelmeier beschrieb das Geschehen 1969 für die Handwerks-Zeitung so: "Am 21. September 1944 wurde in das ,Register der auf dem Kommunalfriedhof der Stadt Wesel beerdigten Personen' folgendes eingetragen: ,Gillis Sibricht, Soldat, gefallen auf dem nahen Kriegsschauplatz'. Alter, Herkunft und sonstige Angaben fehlten; sie schienen nicht bekannt zu sein. Das war nichts Ungewöhnliches in jenen Tagen, als die Front immer näher rückte und der angreifende Feind die Stadt hart bedrängte. Dem Sarge von Gillis Sibricht folgten nur wenige Menschen. Voran schritt der Bürgermeister. Ein paar seiner Mitarbeiter gaben dem Gefallenen das Geleit. Andere schlossen sich an, um ihre Anteilnahme an einem unbekannten Soldatenschicksal zu bekunden. Am Grabe Ehrenbezeugungen, einige Worte des Nachrufs, ein stilles Gebet, Blumen. Dann senkte sich der Sarg in die Gruft. Angehörige gab es nicht. Nur der Friedhofsgärtner schaute von Zeit zu Zeit nach dem Grab, um das sich niemand kümmerte, und deckte es mit Zweigen zu, als die Blumen verblüht waren. Viele Gräber blieben damals ohne Pflege. Auch das Grab des Gillis Sibricht schien bald vergessen."

Im Februar 1945 versank Wesel im Bombenhagel. Dem Rheinübergang der Alliierten Ende März folgte die Besatzungszeit. Und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wahrten die am Begräbnis Beteiligten ihr Schweigen. Es dauerte bis zum Januar 1946. Da wurde es Friedhofsgärtner Sardemann zu mulmig. Er hatte Gerüchte in der Bevölkerung gehört und unterrichtete Stadtdirektor Wilhelm Groos über die Beerdigung des Schatzes, der ihm nicht mehr sicher zu sein schien.

Groos fragte bei Landrat Dr. Theodor Schneemann nach, der die Exhumierung empfahl. Dazu kamen am 28. Januar Groos, Bürgermeister Dr. Anton Ebert, Dr. Helmut Rotthauwe gen. Löns als Vertreter des Landrats, der Stadtverordnete Hans Spindler sowie Sardemann und Lisner zusammen. Der Urkundenbehälter wurde geöffnet, das Schriftstück verlesen. Ohne Unterrichtung der britischen Militärbehörde ging es zum Friedhof. "In der Dämmerung", wie das Stadtarchiv vermerkt, wurde das Grab heimlich geöffnet, während zwei Mann Schmiere standen. Das Silber wurde entnommen, flugs in die Wohnung von Groos gebracht und ohne Wissen seiner Frau unterm Ehebett zwischengelagert.

Das Weitere aus Sicht des Stadtarchivs: "Am nächsten Morgen packte Groos alles in eine Tasche und fuhr in einem Dienstwagen mit Lisner nach Duisburg, um die Gegenstände dort im Tresor der Sparkasse sicherzustellen, wo sie bis zum August 1950 verblieben. Die Fahrt über die heutige B 8 war wegen schlechter Bereifung und vereister Straßen gefährlich. Weniger gefährlich waren die britischen Kontrollen. Man kannte den Weseler Stadtdirektor und vormaligen Bürgermeister und winkte ihn einfach durch."

Der Tarnname des "Gefallenen", Gillis Sibricht, kam übrigens nicht von ungefähr. So hieß der Kölner Goldschmied, der 1578 die Geusenbecher für die Flüchtlinge angefertigt hatte. Mit einem Sarg nachgestellt wurde die Beerdigung der Kunstgegenstände in der großen Ausstellung "Schutt und Asche" 1995 im Centrum 1995 zur 50. Wiederkehr der Zerstörung Wesels.

(RP)
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