Analyse Von Italien ins Vernichtungslager Auschwitz

Dinslaken · Hintergrund Bisher gab es im Gedenkbuch des Bundesarchivs in Berlin keinen Eintrag zur jüdischen Familie Baron aus Dinslaken. Anne Prior, Vorsitzende des Vereins Stolpersteine, hat dafür gesorgt, dass sich das ändert. 2015 werden für die Familie zudem drei Gedenksteine verlegt.

Mendel Baron überlebte den Holocaust. Seine Ehefrau Esther Ester sowie die Töchter Vera und Renate Baron wurden Ende Juni 1944 von Italien nach Auschwitz deportiert. Im nächsten Jahr werden zu ihrem Gedenken auf der Karl-Heinz-Klingen-Straße drei Stoklpersteine verlegt.

Es war im Oktober 1967, als sich Mendel Baron aus Haifa erneut Hilfe suchend an den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen wendete. 22 Jahre nach dem Ende den Zweiten Weltkrieges wollte er endlich Gewissheit über das Schicksal seiner Ehefrau Esther und den gemeinsamen Töchtern Vera und Renate bekommen. Bereits 1961 hatte er das Rote Kreuz kontaktiert, jedoch nichts in Erfahrung bringen können.

"Ich bin jetzt 71 Jahre alt und ich fühle, dass ich nur noch zu diesem Zweck lebe, um nachzuforschen und nachzufragen, um wenigstens etwas Näheres zu erfahren." schrieb er nach Deutschland.

Das aus Polen stammende jüdische Ehepaar Baron hatte seit den zwanziger Jahren bis April 1933 in Dinslaken gelebt. Hier wurde 1927 ihre erste Tochter Vera geboren, Tochter Renate kam 1928 auf die Welt. Die Familie lebte in der Hiesfelder Straße 22 (heute Karl-Heinz-Klingen-Straße). In Dinslaken lebten auch Mendels Schwestern Hinda Abosch und Golda Gottlieb mit ihren Familien.

Mendel Baron war gemeinsam mit Mendel Nussbaum Inhaber der Dinslakener Firma Mendel Baron und Co. Die Firma handelte mit Möbeln, Manufakturwaren und Konfektion. 1926 schied Mendel Nussbaum als Gesellschafter der Firma aus, alleiniger Inhaber war nun Mendel Baron.

Im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, überfielen zehn SA-Männer, angeführt vom SA-Mann Jakob W., das Ladenlokal der Firma "Mendel Baron und Co." in Dinslaken und stahlen das komplette Warenlager. Diese Tat war so spektakulär, dass sogar der in London erscheinende "Jewish Chronicle" darüber berichtete. Am Tag des ersten reichsweiten "Judenboykotts", am 1. April 1933, verzog die Familie Baron nach Essen.

Im Herbst 1938 bereitete Mendel Baron die Emigration für sich und seine Familie vor und befand sich deshalb in den Niederlanden. Esther, Renate und Vera lebten in der Essener Kastanienallee 94, als sie von dort im Zuge der sogenannten "Polenaktion" am 28./29. Oktober 1938 in die polnische Grenzstadt Zbaszyn/Bentschen deportiert wurden. Als Mendel Baron nach Essen zurückkehrte, war seine Familie bereits in Polen. Nach einigen Monaten Aufenthalt im Internierungslager Bentschen gelangten Esther und ihre Töchter im Sommer 1939 nach Nadworna, dem Geburtsort von Esther. Nadworna, dass zu Polen gehörte, wurde mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs von sowjetischen Truppen besetzt und der ukrainischen SSR angeschlossen. Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 veränderte sich die Situation für Esther und ihre Töchter erneut dramatisch. Die Ukraine wurden von den Deutschen besetzt, in zahlreichen Städten wurden Ghettos für die jüdische Bevölkerung eingerichtet. Im Sommer 1942 begannen die deutschen Machthaber auch in Nadworna mit der Zwangsghettoisierung der Juden. Monate zuvor hatte die deutsche Sicherheitspolizei Massenerschießungen an der jüdischen Bevölkerung durchgeführt. Immer wieder hatte Mendel Baron, dem im September 1939 die Flucht nach Belgien gelungen war, Kontakt zu seiner Familie aufnehmen können. Aber auch er wurde nach dem Einmarsch der Deutschen in Belgien inhaftiert und nach Frankreich abgeschoben. Dort war er bis Ende 1942 in den "Pyrenäenlagern" St. Cyprien und Rivesaltes interniert. Ihm gelang - wie seiner Schwester Golda, dem Schwager und ihren drei Kindern - zu einem nicht mehr zu bestimmenden Zeitpunkt die Flucht in die Schweiz.

Wann Esther Baron mit ihren Kindern die Flucht aus Nadworna gelang, kann ebenfalls nicht mehr zeitlich bestimmt werden. Sicher ist, dass sie sich im Jahre 1944 in Italien befanden.

Im norditalienischen Fossoli di Carpi entstand 1943 unter dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei (BdS) und des Sicherheitsdienstes in Verona ein "Durchgangslager". Von Verona aus organisierte der BdS in Zusammenarbeit mit dem Berliner Reichssicherheitshauptamt die Deportationen der jüdischen Bevölkerung Italiens. Am 26. Juni 1944, vor siebzig Jahren, fand ein letzter Transport von Fossoli di Carpi in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau statt. Auf einer Liste finden sich die Namen von Esther, Vera und Renate Baron aus Dinslaken. Mit ihnen wurden etwa 1000 Juden deportiert. Der Zug erreichte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 30. Juni 1944. Seitdem gab es kein Lebenszeichen von Esther Baron und ihren Töchtern.

Mendel Baron kehrte nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Belgien zurück. Später lebte er in Haifa. Nach Israel war auch seine Schwester Golda mit ihrer Familie ausgewandert. Seine Schwester Hinda war mit ihrem Ehemann und den Söhnen 1938 ebenfalls nach Bentschen deportiert worden. Nur ein Sohn der Familie überlebte.

Der Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes teilte Mendel Baron im Oktober 1967 mit, dass die Namen seiner Familie auf einer Personenliste aus Italien stünde, die ihnen erst kürzlich zugänglich gemacht worden sei. Aus dieser Liste ginge hervor, dass sie in Italien verhaftet und später deportiert worden seien. Wohin, konnte der Suchdienst zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mitteilen.

(RP)
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