Dinslaken Spezieller Ausflug in die Kunstgeschichte

Dinslaken · Jürgen Becker schenkte in seinem Programm "Der Künstler ist anwesend" auch der Politik ordentlich ein.

 Jürgen Becker vor Max Ernsts Kunstskandal von 1926. Der Kölner Kabarettist erklärte bei seinem Auftritt in Dinslaken sein Verständnis von Kunst und Kunstgeschichte.

Jürgen Becker vor Max Ernsts Kunstskandal von 1926. Der Kölner Kabarettist erklärte bei seinem Auftritt in Dinslaken sein Verständnis von Kunst und Kunstgeschichte.

Foto: Lars Fröhlich

Als Jürgen Becker das Gemälde mit dem röhrenden Hirsch auf die Leinwand projiziert, hört man im Publikum jenes Kichern, das Menschen von sich geben, wenn sie um die Peinlichkeit einer Sache wissen. Keiner im großen Saal der Kathrin-Türks-Halle wollte so etwas im eigenen Heim haben, eine Dame gab zu, den einstigen Wohnzimmer-Dauerhänger noch im Keller zu lagern. Ganz anders Jürgen Becker. Das Foto zeige sein eigenes Gemälde, das zu Hause bei ihm im Flur hänge, und er fände es schön. Weil es nämlich das, worum es in der Kunst ginge, perfekt darstelle: Fruchtbarkeit und Schönheit. Und schön sei, was funktionalisiert.

Am Samstagabend erklärte der Kölner Kabarettist in Dinslaken sein Verständnis von Kunst und Kunstgeschichte. Amüsant wurde es dabei vor allem, wenn er dies zum Aufhänger für satirische Spitzen auf die Politik nahm. Dann bauten die bankrotten Griechen von vornherein Tempel ohne Dach und Seitenwände, wie man es von der Akropolis halt kennt, wurde aus der "Maja" von Goya, der "Gabriel" von Goya - "Satire muss schmerzhaft sein", konterte Becker auf die Protestschreie von Zuschauerinnen, die sich diesen Anblick ersparen wollten. Und Davids in der Badewanne ermordeter Marat im belgischen Museum wurde zum Sinnbild der EU-Politik: "Wer politisch tot ist, hängt irgendwann in Brüssel rum".

Aber Jürgen Beckers Lieblingsfeind ist und bleibt die katholische Kirche. Und das lässt sich mit der Kunstgeschichte natürlich hervorragend illustrieren. Max Ernsts "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind", dem der Heiligenschein zu Boden fiel und nun die Signatur des Künstlers umgab, bleibt während des gesamten Programms auf der Bühne. Barocke Sinnesfreudigkeit wird zum Triumph über die leibesfeindliche Religion, Paulus zum Galeristen, der Jesus marktfähig machte. Der Kathedrale von Chartres habe man damals den falschen Turm geliefert (den passenden gab's nicht mehr), dem Kölner Dom den falschen Kardinal. Was wäre ein Jürgen-Becker-Programm ohne Seitenhiebe auf Meisner.

Womit man beim Fenster von Gerhard Richter wäre. Das findet auch Jürgen Becker etwas deplatziert. Es sei nämlich genau genommen kein Kirchen-, sondern ein Kneipenfenster. Spricht's und blendet zum Beweis die bunten Butzenscheiben einer Kölner Kneipe ein.

Und auch das ist Köln: Hasenkamp ist die weltweit größte Kunstspedition. Also ein neuer Ansatz der Definition, was Kunst sei, auf Kölsch: "Kunst ist, was Hasenkamp transportieren kann." Auch wenn es sich nicht von Sperrmüll unterscheiden ließe.

Den aktuellen Kunstbetrieb sieht der gelernte graphische Zeichner, der einst für seinen Arbeitgeber 4711 den Slogan "Mit Tosca kommt die Zärtlichkeit" prägte, eh kritisch. Die wahren Künstler seien für ihn all die Menschen, die die Kleinkunst lebendig hielten: das Publikum des Kabarettisten. Darauf dann ein Kölsch.

Jürgen Becker schenkte - wie immer erst - auf der Bühne der Politik und der Kirche mit Worten kräftig ein und dann dem Publikum mit Freibier.

(RP)
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