Hintergrund Norbert Lammerts Plädoyer fürs Wählengehen

Dinslaken · Seine Frau hatte sich das anders gedacht. Nach der Entscheidung Norbert Lammerts nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, hatte sie eigentlich angenommen, dass er sich nicht mehr so im laufenden Wahlkampf engagiert, berichtete der scheidende Bundestagspräsident.

 Ein Abend unter Freunden: (v.l.) Bundestagspräsident Norbert Lammert, Wahlkreiskandidatin Marie-Luise Dött, Dinslakens CDU-Chef Rainer Hagenkötter und der Vorsitzende der Jungen Union, Fabian Schneider

Ein Abend unter Freunden: (v.l.) Bundestagspräsident Norbert Lammert, Wahlkreiskandidatin Marie-Luise Dött, Dinslakens CDU-Chef Rainer Hagenkötter und der Vorsitzende der Jungen Union, Fabian Schneider

Foto: Büttner

Nicht, dass er an seinen parteipolitischen Überzeugungen und Präferenzen irgendeinen Zweifel ließ: "Andere Länder würden die Kanzlerin mit Kusshand nehmen, die wir mit Angela Merkel jetzt schon haben." Oder mit Blick auf die Wahlkreiskandidatin, mit der er, wie er erzählte, seit Jahren in der Fraktion einträchtig nebeneinander sitzt: "Ich würde Marie-Luise Dött ohne Zögern meine Stimme geben." Doch der zweithöchste Repräsentant der Republik beließ es weitgehend bei fein dosierten Ausflügen ins Parteipolitische. "Mein wesentliche Aufgabe in diesem Wahlkampf sehe ich darin", so erklärte der Nicht-mehr-Kandidat, "den Menschen vor Augen zu führen, wie wichtig das Stimmrecht ist." Und das tat er dann eindringlich auf die ihm eigene Weise - rhetorisch geschliffen, mit Ironie gelegentlich fein gewürzt.

Lammert verwies auf jüngste Umfragen, wonach 46 Prozent der Befragten angegeben haben, dass sie noch nicht wissen, wen sie wählen, 48 Prozent aber schon zu wissen glauben, wie die Wahl ausgeht. Für Lammert ein erstaunliches Ergebnis, das, wie er fürchtet, aber zum Ausdruck bringt, wie oberflächlich viele mit der Frage umgehen, was Wahlen verändern können. Die Wahl Donald Trumps ist für ihn ein Beispiel, zu was das führen kann. Nur gut die Hälfte der Amerikaner hätten sich beteiligt. Die anderen könnten jetzt zwar für sich in Anspruch nehmen, dass sie ihn nicht gewählt haben, müssten sich aber auch sagen lassen, dass sie für ein Ergebnis mit verantwortlich sind, das das eigene Land und möglicherweise die ganze Welt verändern wird.

Ähnlich sieht der Bundestagspräsident den Beschluss der Briten, aus der Europäischen Union auszusteigen - "eine der verheerendsten Entscheidungen der letzten 50 Jahren". Mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten seien der Wahlurne fern geblieben, vor allem die, die am längsten betroffen seien - die jungen Menschen. Anschließend hätten gerade die Jungen gegen den Brexit demonstriert, was sie gar nicht nötig gehabt hätten, hätten sie von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. "Wählen macht den Unterschied", konstatierte Lammert und warnte vor zufriedener Bräsigkeit und fehlendem Engagement für die Demokratie, die immer wieder aufs Neue erkämpft werden wolle. Was aus unserer Perspektive selbstverständlich scheine, das zeige ein Blick auf viele andere Länder auf diesem Globus, die ihren Menschen demokratische Errungenschaften vorenthielten, sei es eben nicht.

Deutschland, so Lammert, sei inzwischen als stärkstem Staat in einem in der Welt an Bedeutung verlierendem Europa als Anker politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität eine Rolle zugewachsen, die es annehmen müsse. Die Herausforderungen, die sich etwa bei der Frage der Migration oder des Klimawandels stellten, könne aber kein Staat alleine lösen. Auch deswegen sei die Wahl am 24. September so wichtig. Dabei werde darüber entschieden, wer für das Land angesichts der sich stellenden weltpolitischen Aufgaben Verantwortung tragen wird. Die Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg sei im Grunde ein Mirakel, das aber nicht vom Himmel gefallen sei, sondern die Errungenschaft einer großen gemeinsamen Anstrengung. "Das, was erreicht wurde, bleibt aber nur solange bestehen, wie wir es für so wichtig halten, wie es ist", mahnte Lammert.

Für seine Worte erhielt Lammert langanhaltenden Applaus aus dem Saal und von Dinslakens CDU-Chef Rainer Hagenkötter eine 11-er-Kiste mit alkoholischen und nichtalkoholischen Bieren aus der Region. Schließlich kann sich Lammert neben vielen Auszeichnungen und Ehrungen, die er erhalten hat, seit vergangenem Jahr auch noch mit dem von den deutschen Brauern verliehenen Titel "Bierbotschafter" schmücken.

Aus den Vorgesprächen zur Veranstaltung, bei denen es darum ging, wie dieser Abend in Lohberg gestaltet werden könne, hatte Hagenkötter zuvor berichtet, dass Marie-Luise Dött ihm gesagt habe: "Lass den Norbert Lammert einfach reden, das kann er".

Stimmt. Er kann.

(RP)
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