Kolumne Neu In Der Stadtbibliothek Kapitalismus-Kritik als unterhaltsamer Roman

Dinslaken · Hans Magnus Enzensberger (geboren 1929) ist nicht nur einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Gegenwartsliteratur, sondern auch ein scharfsichtiger Essayist und Kulturkritiker und ein kultivierter Erzähler. Sein neuer Roman ist in vieler Hinsicht eine Überraschung. Er gibt eine amüsante Einführung in die Spielregeln des Kapitalismus, die sich als Jugendroman tarnt, in Wahrheit aber ein ironisch-didaktischer Roman für erwachsene Leser ist.

Im Mittelpunkt des schmalen "Wirtschaftsromans" steht eine steinreiche und exzentrische alte Frau und mehrfache Witwe, die allein in einer riesigen Villa am Genfer See lebt. Sie ist die Erbtante der eher kleinbürgerlichen Familie Federmann, die sie gerne mit ihrem Besuch beehrt. Dabei lädt sie die drei Kinder der Familie, Fanny, Fabian und die Abiturientin Felicitas, in ihre Suite im Hotel "Vier Jahreszeiten" ein, um ihnen einige Lektionen über das zu geben, was in der Schule nicht gelehrt wird: über die Welt des Geldes. Denn, so sagt Tante Fé, "Lehrer haben keine Ahnung von Ökonomie". Auf höchst unterhaltsame Weise erklärt sie den Kindern, wie das Papiergeld funktioniert, wie sich Staaten an Inflation und Geldabwertungen sanieren, wie Banker betrügen und wie Zufall und Willkür das wirtschaftliche Auf und Ab bestimmen. Zum Beispiel das Geld: Angeblich haben es die Phönizier erfunden. Doch warum, so fragte schon Johann Nestroy, erfanden sie dann aber so wenig davon? Im Übrigen, sagt Tante Fé, sei das mit dem Geld alles Schwindel.

Denn alles hängt doch davon ab, dass wir alle an seinen Wert glauben. Und die Ökonomen täuschen wissenschaftliche Erkenntnisse nur vor. Denn die Wirtschaft ist eine Welt organisierter Verantwortungslosigkeit, die bestimmt ist von Irrationalem, von Gier und Angst. In seiner zweiten Hälfte nimmt die Handlung des - aus der naiven Perspektive der 18jährigen Felicitas erzählten - Romans mit einigen überraschenden Wendungen noch einmal Fahrt auf, bleibt aber immer ironisch und unterhaltsam. Bewusst an den erwachsenen Leser wenden sich die suggestiven und aussagekräftigen Text- und Foto-Collagen aus der aktuellen Wirtschaftsgeschichte sowie die Randtexte mit provozierenden Zitaten zum Thema "Geld und Macht". Sicherlich keine große Literatur, aber ein vergnüglich zu lesendes Plauder-Buch über die Welt des Geldes und eine nachdenklich stimmende Kapitalismus-Kritik, jugendlichen wie erwachsenen Lesern gleichermaßen empfohlen.

DR. RONALD SCHNEIDER

Enzensberger, Hans Magnus: Immer das Geld! Ein kleiner Wirtschaftsroman; Suhrkamp Verlag: 2015.

(RP)
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