Dinslaken Hagenbuch - das verrückte andere Ich

Dinslaken · Gerhard Greiner wagte sich in seiner elften Lesung im alljährlichen Gedenken an Hanns Dieter Hüsch erstmals an besondere Texte des verstorbenen Kabarettisten.

 Gerhard Greiner las in der Evangelischen Stadtkirche auch religiöse Texte und Gebete von Hüsch.

Gerhard Greiner las in der Evangelischen Stadtkirche auch religiöse Texte und Gebete von Hüsch.

Foto: Heiko Kempken

"Hagenbuch hat jetzt zugegeben. . ." So begann Hanns Dieter Hüsch die Texte über sein verrücktes anderes Ich. Und während er dies immer als Zitat Dritter, als Gerüchteküche relativiert hat, gab es am vergangenen Dienstag in der Evangelischen Stadtkirche ein echtes Geständnis: Gerhard Greiner, der zum elften Mal mit einer Lesung an den am 6. Dezember 2005 verstorbenen Kabarettisten und Poeten erinnerte, gab zu, dass er um "Hagenbuch hat jetzt zugegeben. . ." bei der Auswahl der Texte immer einen Bogen gemacht habe. Bis jetzt: "Endlich habe ich mich an Hagenbuch herangetraut", meinte Gerhard Greiner.

Womit er Hüsch sogar voraus war: Der nämlich hat sich an "sein anderes Ich" im Himmel nicht herangetraut: Er wollte lieber nur aus der Ferne sehen, was er aus der Distanz heraus aufgebaut hat:

Hagenbuch. Ein hellsichtiger Verrückter, ein unbequemer Querulant. Einer, dessen Hund Flecke auf dem Hosenbein von Diplomaten hinterlässt und in dessen Arme Obdachlose sterben. Einer, der frei redet und das in doppelter Hinsicht: ohne die Schere im Kopf, aber auch ohne Skript. Blieb Hüsch auf dem Boden, so wie er nur vom Küchenfenster aus im Traum mit Mutter und Jesukind im Schlitten unterwegs ist, so ist Hagenbuch ein anarchischer, von allen Zwängen losgelöster Luftikus

In einer Erzählung wird er in eine Anstalt eingewiesen, weil er jedem verkündet, "dass die Welt aus einem falschen Verständnis heraus geschaffen wurde". Und damit meint Hüsch/Hagenbuch nicht die Erde als Gottes Schöpfung, sondern die Welt, wie sie sich die Menschen machten: Wo der, der gütig ist, als schwach gehänselt und der, der zerstört, als stark gepriesen wird. Hagenbuch wird als untherapierbar entlassen: Jeder weiß, dass er recht hat, aber keiner gibt es zu.

Und dazu starke Bilder: Wie das von Paul, der nachts im dunklen Waggon eines Güterzuges die Wände voller Worte des Wutes schreibt und am nächsten Morgen nur immer und immer wieder "Fürchtet Euch nicht" geschrieben findet.

Greiners Respekt vor den Texten lag wohl weniger in ihrem Inhalt als in ihrer Form begründet: Hüsch gießt Wortgetüme in feste Blöcke, schachtelt sie in Sätze und Nebensätze wie russische Matruschkas und verlangt vom Vortragenden auch noch einen leicht echauffierten Ton. Eine Leistung, für die dem Rezitator Greiner wiederum der Respekt des Publikums gebührt.

Musikalisch eingerahmt wurden die Texte von Daniela Grüning an der Orgel. Sie spielte Stücke von Leon Boëllmanns "Prière a Notre Dame" bis "Engel auf den Feldern singen" als Antwort auf Hüschs "Weihnachten am Niederrhein".

(RP)
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