Dinslaken Ein Stützpunkt der Gestapo-Helfer

Dinslaken · Dem Gewerbehaus an der Duisburger Straße kam in den Jahren von 1937 bis 1945 eine besondere Bedeutung zu. Die Dinslakener Autorin Anne Prior hat sich mit der Funktion des Gebäudes in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt.

 Programm einer Veranstaltung von Verfolgten des NS-Regimes von 1948. Darauf zu erkennen: Im Landkreis Dinslaken wurden 385 Menschen als NS-Verfolgte anerkannt

Programm einer Veranstaltung von Verfolgten des NS-Regimes von 1948. Darauf zu erkennen: Im Landkreis Dinslaken wurden 385 Menschen als NS-Verfolgte anerkannt

Foto: Prior

In den Jahren 1928 und 1929 wurde das Gewerbehaus vom Innungsausschusss Dinslaken und der Vereinigung der Einzelhändler des damaligen Kreises Wesel errichtet. Es beherbergte neben Büroräumen und Wohnungen auch ein Ladenlokal. Der nunmehr fast 90 Jahre alte Gebäudekomplex an der Duisburger Straße hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, gegenwärtig wird er saniert. Anne Prior, Dinslakener Autorin und Buchhändlerin, die seit vielen Jahren die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Dinslaken erforscht und sich mit den Schicksalen der Menschen befasst, die vom Nazi-Regime und seinen Helfern verfolgt, vertrieben oder getötet wurden, hat sich auch mit der Bedeutung des Gewerbehauses in den Jahren von 1937 bis 1945 beschäftigt. Anne Prior schreibt dazu:

"Im Laufe des September 1937 zog die Dinslakener Polizei in ihre neuen Räume im Erdgeschoss des Gewerbehauses an der Duisburger Straße ein. Die Schaffung von neuen Diensträumen ging mit weiteren organisatorischen und personellen Veränderungen in dem Jahr einher, von denen die Ernennung des Kriminalsekretärs Heinrich Schneider als Leiter der Kriminalpolizei Dinslaken am 2. Januar 1937 die wichtigste war. Am 25. Mai 1937 war Heinrich Schneider von Landrat von Werder auch zum Leiter der Politischen Polizei in Dinslaken ernannt worden. In dieser Eigenschaft unterstand er der Gestapo-Außenstelle Oberhausen.

In kleineren Städten hatte die Gestapo keine Außendienststellen, sondern delegierte die "politischen Angelegenheiten" an die örtliche Polizei. Schneider, der zuvor in Oberhausen für die Bearbeitung der politischen Fälle zuständig war, hatte 1933/34 für drei Monate im "Kommissariat für die Bekämpfung des Marxismus und Kommunismus" der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf gearbeitet. Vermutlich sprach diese Erfahrung für seine Ernennung. Schneider hatte Landrat von Werder über alle polizeipolitischen Angelegenheiten schriftlich oder mündlich zu unterrichten.

Aus den neuen Büros im Gewerbehaus wurde damit seit Herbst 1937 die nationalsozialistische Verfolgungspolitik organisiert. Am 27. Oktober 1938 etwa traf in den neuen Polizeidiensträumen die Anweisung des Düsseldorfer Regierungspräsidenten ein, alle in der Stadt lebenden polnischen Juden mit gültigem Pass in "Abschiebehaft" zu nehmen. Anschließend sollten Transporte zusammengestellt und die Menschen in Eisenbahnzügen nach Polen deportiert werden. Die Anweisung zur "Abschiebehaft" wurde ebenso von Dinslakener Polizisten ausgeführt wie die der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf vom 10. November 1938, männliche Juden in "Schutzhaft" zu nehmen.

Nachdem die Deportationen der Juden aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf für das Jahr 1941 mit der Deportation vom 11. Dezember 1941 nach Riga abgeschlossen waren, erreichte am 6. Februar 1942 ein Fernschreiben der Staatspolizeileitstelle das Landratsamt. Die Kreispolizeibehörde wurde aufgefordert, die im Landkreis Dinslaken lebenden Juden zahlenmäßig zu erfassen und diese Zahl der Leitstelle Düsseldorf mitzuteilen. Die Anzahl wurde fernmündlich durchgegeben: Neun Juden gab es noch im Landkreis, davon sechs in sogenannter "Mischehe" lebend. Diese Auskunft wurden von Düsseldorf an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin weitergegeben. Dort stellte das Referat IV B4 unter Referatsleiter Adolf Eichmann die zahlenmäßig erfassten Juden aus der Region für die Deportationen des Jahres 1942 zusammen.

Die Kriminalpolizei spürte auch die für die Zwangssterilisation vorgesehenen Personen auf, die sich der Sterilisation entzogen hatten. In einem Runderlass des Preußischen Innenministeriums war das Evangelische Krankenhaus Dinslaken im Oktober 1934 autorisiert worden, die Eingriffe im Landkreis vorzunehmen.

Auf dem Kriminalpolizeiamt wurde ein Hiesfelder Gestapo-Informant 1942 aufgefordert, den Aufenthaltsort des flüchtigen "Berufskriminellen" G. in Erfahrung zu bringen. Die Dinslakener Kripo hatte ihn bereits in den 1930er Jahren polizeilich überwacht und wegen wiederholter Fahrraddiebstähle in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Bei der Festnahme 1942 wurde der wehrlose Familienvater G. von Heinrich Schneider getötet.

Zahlreiche Dinslakener, von der Kriminalpolizei vor Ort weisungsgemäß in "Vorbeugende Schutzhaft" genommen und mit Sammeltransporten in die Konzentrationslager verbracht, starben, stigmatisiert als "Asoziale" oder "Berufsverbrecher", in den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald, Mauthausen und Auschwitz.

Auch für die Überwachung von Millionen Zwangsarbeitern, die nach Deutschland verschleppt worden waren, war die Polizei zuständig. Im Herbst 1943 vergewaltigte ein Vorarbeiter des Bandeisenwalzwerks eine junge "Ostarbeiterin" aus der Ukraine. Der Täter wurde für drei Monate in das Konzentrationslager Dachau, das Opfer auf unbestimmte Zeit in das Konzentrationslager Ravensbrück eingewiesen.

Im Spätsommer 1944, nach dem missglückten Attentat von Graf Stauffenberg auf Hitler, kam es zu einer letzten großen Verhaftungswelle: der "Aktion Gewitter". Nach den ersten Verhaftungen am 22. August 1944 wurden im Landkreis Dinslaken Mitte September erneut politisch Andersdenkende verhaftet.

Für die Zusammenstellung der lokalen Verhaftungsliste waren die polizeipolitischen Sachbearbeiter Dinslakens und Walsums, Schneider und Starke, zuständig. Auch die NSDAP-Kreisleitung und Landrat von Werder nahmen Einfluss auf die Liste. Diese Verhaftungen und die anschließenden Einweisungen nach Sachsenhausen und Flossenbürg im Herbst 1944, organisiert und durchgeführt von den im Gewerbehaus tätigen Polizisten, kosteten sechs politischen Häftlingen aus der Stadt Dinslaken das Leben.

Diese Beispiel zeigen, dass mit dem Einzug der Polizei in das Gewerbehaus 1937 das Gebäude nicht nur einen neuen Mieter bekam, sondern es für einige Jahre der zentrale Ort war, von dem aus die nationalsozialistische Verfolgungspolitik in dieser Stadt organisiert und umgesetzt wurde. Die Sanierung und Neugestaltung des Gebäudes ist eine gute Gelegenheit, an diese Funktion zu erinnern."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort