Dinslaken Ein schöner Spießer mit totem Fuchs

Dinslaken · Die Burghofbühne inszeniert "Das Bildnis des Dorian Gray". Dorians Wunsch nach Schönheit und Jugend ist aktueller denn je. Das Stück lässt die ganz großen Fragen jedoch außen vor.

 Dorian Gray (Carlo Sohn) mit seiner ersten großen Liebe Sybel Vane (Lara Christine Schmidt).

Dorian Gray (Carlo Sohn) mit seiner ersten großen Liebe Sybel Vane (Lara Christine Schmidt).

Foto: BHB/mb

Als der Körper all das nicht mehr erträgt, als die Seele nicht mehr weiß, ob sie existiert, stirbt Dorian. Seine leblose Hülle liegt darnieder, das Bildnis ist durchstochen. Vier Figuren mit Musikinstrumenten blicken inhaltsleer in die Ränge und sagen, wie es ist - vorbei, nämlich. Der Leichnam ist gealtert, das Bildnis wieder jung. Die Musiker, die ein bisschen aussehen wie die Kelly Family, beenden das Stück, als wäre es ein Märchen. Und wenn sie nicht gestorben wären, dann lebten sie noch heute.

Das Landestheater Burghofbühne hat sich mit dem "Bildnis des Dorian Gray" nach Oscar Wildes einzigem Roman (in der Bühnenfassung John von Düffels) eine Menge vorgenommen. Weltliteratur in Dinslaken - immerhin noch nicht im Zirkuszelt, der möglichen Ersatzspielstätte für die Kathrin-Türks-Halle, die Ende des Jahres wegen Sanierung geschlossen wird.

Joachim von Burchards Inszenierung des knapp 120 Jahre alten Stoffs macht ratlos. Dabei bietet "Das Bildnis des Dorian Gray" eine ganze Menge zu erzählen; es spielt, dafür braucht es keine große Fantasie, in der heutigen Zeit. Schönheit, Jugendlichkeit, Hedonismus, das große Verharren an der Oberfläche, die blinde Überhöhung der Popkultur - all das zeigt auch Wilde in seinem Roman, und vielleicht gerade, den Menschen des 21. Jahrhunderts auf. Während sich Dorian Gray nichts sehnlicher wünscht, als dass sein Porträt, sein Bildnis, an seiner Stelle altert, altert der Mensch heute lieber in der Realität und hält an seiner Stelle den Avatar im Netz jung, schön und witzig.

Nichts ist flexibler, anpassungsfähiger, reaktionsschneller, als ein sich stets wandelndes zweites Ich, ein Bildnis im digitalen Netzwerk. Die Garantie der ewigen Schönheit. Es sind Hochzeiten für jemanden wie Dorian Gray. Die Inszenierung der Burghofbühne lässt die Aktualität des Stoffs außen vor. Eine Videokamera, eine herabhängende Leinwand auf der Naturfilme laufen, ein paar rote, alte Theaterstühle, ein Kunstbaum und die zeitgleich schauspielenden Musiker - das ist das Bildnis der Bühne. Dorian Gray (konzentriert: Carlo Sohn) tritt im spießigen Dreiteiler auf, nach der Pause hängt er sich einen toten Fuchs über die Schultern. Lord Henry (Markus Kloster), Dorians Einflüsterer und Wasserfall an Aphorismen, kommt ebenso spießig daher. Nur Basil (Christoph Bahr) darf sich gehen lassen und kleidet sich grässlich.

Sibyl Vane (hervorragend: Lara Christine Schmidt), die Dorian verzaubert, singt Rihannas Popballade "Diamonds". Zweimal stimmt sie das Stück an, was wirklich gut klingt, aber sonst keinen weiteren Mehrwert bietet: "Ich habe mich entschieden, glücklich zu sein / Du und Ich, Du und Ich / Wir sind wie Diamanten im Himmel." Der schöne Gesang lenkt ab von der Brutalität der zerstörten späteren Liebe, dem unfreiwillig selbstgewählten Tod, den der Zuschauer nicht sehen soll. Ihr Leid zeigt sich höchstens in den Vorwürfen, die sie Dorian vom Himmel herab über eine Videokamera sendet. Lord Henry ist es, dem ein Potpourri an hohlen Stammtischparolen zu verdanken ist. Etwa: "Frauen sind ein dekoratives Geschlecht", "Die Ehe schadet dem Egoismus" oder "Ein Mann kann mit jeder Frau glücklich werden, solange er sie nicht liebt". Der scheinbar kluge Dorian fällt darauf herein, er ist ein Tor, der im Suff, Drogenrausch und in der Sucht nach Vergnügung sein Leben verspielt.

All das unterhält gut, ist witzig und schön anzusehen. Aber den nächsten Schritt verpasst von Burchards Inszenierung. Das Stück begeistert nicht, es empört auch nicht. Es wirft, was wirklich schade ist, nicht die ganz großen Fragen auf. Die werden einfach schon beantwortet. Das Bildnis, das an Dorians Stelle altert, ist leer, nichts als eine weiße Leinwand. Der Einsatz moderner Technik hätte hier eine Chance geboten. Das Publikum spendet wohlmeinenden, unentschlossenen Applaus.

(RP)
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