Hintergrund Die Verwandten der Jeanette Wolff

Dinslaken · Jeanette Wolff lebte von Januar 1932 bis März 1933 in Dinslaken. Vor Jahren wurde ihr zu Ehren am ehemaligen Wohnhaus der Familie an der Wielandstraße 11 ein Relief angebracht. Bald wird auf dem Jeanette-Wolff-Platz in der Innenstadt auch eine Skulptur an sie erinnern.

 Bertha Fransmann, geborene Löwenthal

Bertha Fransmann, geborene Löwenthal

Foto: I. Haarland

Dinslaken Durch verwandtschaftliche Beziehungen hatte Jeanette Wolff schon vor 1932 Bekanntschaft mit Dinslaken gemacht. Der Holzschuhmacher Levi Fuldauer, seit 1878 in Dinslaken wohnend, war ein Onkel ihres 1909 verstorbenen ersten Ehemannes Philipp Fuldauer aus Dinxperlo. Eine weitere Verbindung wurde im September 1920 in Bocholt besiegelt: die Hochzeit von Jeanettes Bruder Sally Cohen mit der Dinslakenerin Juliane Fransmann. Juliane war die Tochter des Arbeiters Salomon Fransmann und der Näherin Bertha Löwenthal. Salomon Fransmann besaß die niederländische Staatsangehörigkeit. Die Mutter der aus Rees stammenden Bertha Löwenthal, Julie Löwenthal, war eine geborene Bernhard aus Dinslaken. Vermutlich arbeitete Bertha als Näherin für die jüdischen Geschäfte der Stadt, in denen Textilien und Weißwaren zum Sortiment gehörten. Sie lebte im Jahr von Julianes Geburt 1899 im Haus Brückstraße 9. Das Ehepaar bekam noch zwei weitere Kinder: Moses und Johanna. Jeanette und ihr Ehemann Hermann Wolff waren durch die Heirat des Bruders und Schwagers Sally Cohen mit Juliane Fransmann also auch mit der bekannten alteingesessenen Dinslakener Kaufmannsfamilie Bernhard entfernt "verschwägert".

Sally Cohen war das zweitälteste von vier urkundlich nachweisbaren Kindern des Ehepaares Isaak und Dina Cohen aus Bocholt. Jeanette war 1888 geboren worden, Sally 1892. Ihnen folgten Hedwig (1898) und Magnus (1901). Isaak Cohen verstarb 1929, seine Ehefrau Dina 1938. Im Jahr 1938, die Nazis waren seit fünf Jahren an der Macht, floh Magnus Cohen nach Paraguay. Nach dem Novemberpogromen 1938 bereiteten Sally und Juliane Cohen die Flucht in die Niederlande vor. Anfang Dezember 1938 gelang es ihnen - als "Urlaubsreise" getarnt - die Töchter Margot und Ruth in das niederländische Goor zu bringen. Hier lebte Sallys Schwester Hedwig mit Ehemann Abraham Polak und Sohn Johnnij Magnus. Sally Cohen selbst gelangte mit seiner Ehefrau im Februar 1939 nach Amsterdam. Tochter Margot Cohen heiratete im selben Jahr. Deren Tochter Sophia Juliane Senta, das erste Enkelkind der Cohens, wurde im Februar 1940 in Almelo geboren. Sally Cohen wurde in dieser Zeit herzkrank durch "all das Elend, was wir durchmachen mussten" wie Juliane in einem Brief an eine niederländische Hilfsorganisation schrieb. Ruth Cohen heiratete 1942 einen aus Amsterdam stammenden Diamantenschleifer.

Sally und Juliane Cohen wurden im Februar 1943 in Amsterdam verhaftet, im "Durchgangslager" Westerbork inhaftiert und von dort in das "Austauschlager" für jüdische Häftlinge in Bergen-Belsen verbracht. Ihre schwangere Tochter Ruth wurde mit ihrem Ehemann im Mai 1944 ebenfalls über Westerbork nach Bergen-Belsen deportiert. Dort brachte Ruth ihren Sohn Leo Henri zur Welt. Ihren Enkelsohn lernten Juliane und Sally Cohen jedoch nicht kennen, sie befanden sich seit Januar 1944 im Ghetto Theresienstadt. Im September 1944 waren auch Margot Cohen, ihr zweiter Ehemann Siegfried Frank aus Velen und die vierjährige Sophia nach Theresienstadt gebracht worden. Gemeinsam mit ihrer Tochter Margot und Enkelin Sophia wurde Juliane Cohen am 4. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Margot und die vierjährige Sophia wurden sofort nach ihrer Ankunft in einer Gaskammer getötet, Juliane jedoch in das Lager eingewiesen. Sie erlebte die Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1945, starb aber kurz darauf an Entkräftung. Ehemann Sally und Schwiegersohn Siegfried waren bereits im September nach Auschwitz verbracht worden. Während Sally Cohen sehr wahrscheinlich sofort nach seiner Ankunft getötet wurde, wies die SS Siegfried in das Lager ein. Von Auschwitz aus wurde er im Januar 1945 auf einem Todesmarsch nach Buchenwald getrieben. Nach weiteren Märschen in Richtung Theresienstadt verlor sich seine Spur. Ruth und ihr Ehemann Abraham erlebten die Befreiung Bergen-Belsens im April 1945. Abraham starb jedoch im Mai desselben Jahres an den Folgen der Haft. Der Sohn des Ehepaares, Leo Henri, war bereits Ende Januar gestorben. Ruth kehrte nach Amsterdam zurück und wanderte später nach Australien aus. Hedwig-Cohen Polak und ihr kleiner Sohn Johnnij-Magnus wurden 1943 im Vernichtungslager Sobibor, Ehemann Abraham Polak sehr wahrscheinlich in Auschwitz ermordet.

Ein Blick auf die Herkunftsfamilie von Jeanette Wolff zeigt, wie vertraut sie bereits vor ihrem Umzug von Bocholt nach Dinslaken mit den jüdischen Familien vor Ort war. Deutlich werden auch die familiären Verflechtungen der Bocholter Familie Cohen zu unseren niederländischen Nachbarn, wie die Verbindungen zu den Familien Fuldauer, Fransmann und Polak belegen. Dieser Blick zeigt uns ebenfalls, mit welchen ungeheuren Verlusten Jeanette Wolff nach 1945 leben musste. Nicht nur ihr Ehemann und zwei Töchter, sondern auch zwei ihrer Geschwister, deren Ehepartner, Kinder, Schwiegerkinder und Enkel wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

(RP)
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