Hintergrund Auf der Suche nach den "versteckten Kindern"

Dinslaken · Der Lern- und Gedenkort Jawne zeigt 2018 eine Ausstellung über "Kindertransporte nach Belgien". Bericht von einer Recherchereise.

 Anne Prior mit Eli Edelmann und Mark-David Syfer, denen sie ihr Buch überreicht.

Anne Prior mit Eli Edelmann und Mark-David Syfer, denen sie ihr Buch überreicht.

Foto: AP

Dr. Ursula Reuter, Änneke Winckel und Adrian Stellmacher vom Lern- und Gedenkort Jawne in Köln, die Übersetzerin Claire Merkord und ich - hatten uns einiges vorgenommen. Als erstes stand ein Treffen in Brüssel an, das ein guter Bekannter der Kölner organisiert hatte. Johannes Blum, in Salzburg geboren und schon lange in Belgien lebend, erwies sich nicht nur bei diesem ersten Termin als ein großartiger Vermittler. In seinem Haus erwarteten uns Mark-David Syfer und Eli Edelmann von der Organisation "Enfants Cachés", die beide als "versteckte Kinder" während der deutschen Besatzung in Belgien überlebt hatten. Die Begegnung verlief sehr herzlich, und die Herren waren sofort bereit, uns auf der Suche nach Zeitzeugen, die durch einen Kindertransport 1938/1939 als Kinder oder Jugendliche von Deutschland nach Belgien gelangten, behilflich zu sein. Am nächsten Vormittag trafen wir uns mit Norbert Cigé, dem Generalsekretär des Jüdischen Museums in Brüssel. Wir wurden im Museum erwartet, das wegen Renovierung und konzeptioneller Neugestaltung schon seit einiger Zeit geschlossen ist. Es war für mich ein beklemmendes Gefühl, den Flur des schwer bewachten Gebäudes zu betreten, in dem vor drei Jahren ein Attentäter ein israelisches Ehepaar und zwei Mitarbeiter des Hauses getötet hatte. Die Bilder der Überwachungskamera gingen damals um die Welt. Der liebenswürdige Empfang durch Norbert Cigé ließ jedoch die Beklemmung schnell verschwinden. Auch Philippe Blondin, der Direktor des Museums, hatte sich eingefunden, um sich über unser Vorhaben zu informieren. Beide sprachen sehr gut Deutsch, was bei Norbert Cigé mit der Heimat seiner Eltern zu erklären ist - Berlin. Auch sie sagten uns nach einem einstündigen Austausch ihre Unterstützung zu, beispielsweise durch einen unkomplizierten Zugang zu den umfangreichen Dokumenten- und Bildbeständen des Hauses. Am späten Nachmittag trafen wir Adeline Fohn, eine sympathische Psychologin, die seit Jahren die mittlerweile hochbetagten "versteckten Kinder" begleitet und einige wissenschaftliche Arbeiten zum Thema veröffentlicht hat. Erst am späten Abend kehrten wir erschöpft in unser Quartier zurück. Für mich war dieser Tag der psychisch anstrengendste der Reise. Am Donnerstag besuchten wir das Reichsarchiv in Brüssel und machten uns mit den Beständen zum Thema vertraut. Das bedeutete jede Menge Arbeit für Claire Merkord: denn die meisten Dokumente waren in französischer Sprache verfasst. Ich freute mich auch, endlich den freundlichen Archivar kennenzulernen, mit dem ich mich in den Jahren 2014 und 2015 ausgetauscht hatte.

Dem letzten Tag der Reise war ein Besuch der Gedenkstätte "Kazerne Dossin" in Mechelen vorbehalten. Dort hatte Johannes Blum ein wichtiges Treffen arrangiert: Wir konnten uns mit Ward Adriaens austauschen, dem ehemaligen Direktor der Gedenkstätte, und erfuhren viel über die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Belgien. Mit sichtlichem Vergnügen erzählte Adriaens von Sabotageakten der belgischen Resistance gegen die deutschen Besatzer. Aber auch die Bemühungen des Widerstands, jüdische Kinder zu verstecken oder mit Hilfe verschiedener Hilfsorganisationen nach Übersee und in die Schweiz zu bringen, waren Thema. Für eine dieser Organisationen hatte Dr. Siegfried Rothschild aus Dinslaken gearbeitet. Am Nachmittag empfing uns Dorien Styven in der "Kazerne Dossin", dem Ort in Mechelen, von dem aus die in Belgien lebenden Juden 1942 bis 1944 nach Auschwitz deportiert wurden. Heute ist dieser Ort eine Gedenkstätte mit einer beeindruckenden Ausstellung und einer umfangreichen Sammlung von Dokumenten aus dieser Zeit. Auch mit Dorien Styven hatte ich oft korrespondiert. Auch sie wird unser Projekt unterstützen.

Zurück aus Belgien beginnt nun vor Ort die Arbeit: Dokumente müssen übersetzt und eingeordnet, Archive angeschrieben oder besucht werden. Aber auch nach Belgien werden wir noch einige Male fahren und freuen uns auf weitere anregende Gespräche und Begegnungen.

(RP)
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