Dinslaken Auf den Spuren der jüdischen Kinder

Dinslaken · Anne Prior erinnerte an die Novemberpogrome 1938 und die Schicksale der Bewohner des jüdischen Waisenhauses.

 Anne Prior recherchiert seit vielen Jahren die Geschichte jüdischen Lebens in Dinslaken.

Anne Prior recherchiert seit vielen Jahren die Geschichte jüdischen Lebens in Dinslaken.

Foto: Martin Büttner

Bilder erscheinen per Beamer auf der Leinwand im Saal des evangelischen Gemeindehauses. Porträtaufnahmen von Menschen. Gesichter, auf denen ein Lächeln zu sehen ist und leuchtende Kinderaugen. Es sind Fotos von jenen jungen Menschen, die das jüdische Waisenhaus in der Innenstadt bewohnten. Bevor sie im Zuge der Nazi-Ekzesse gegen Juden im November 1938 von dort aus zur Volksbelustigung durch die Stadt getrieben und schließlich aus Dinslaken weggeschafft wurden.

Anne Prior, Autorin und Buchhändlerin, recherchiert seit Jahren die Geschichte der jüdischen Gemeinde Dinslaken. Besonders interessiert ist sie an den einzelnen Schicksalen der Menschen, die vom Nazi-Regime und seinen Helfern aus der Stadt vertrieben wurden. Von den Kindern, die im Waisenhaus lebten, hat sie die Lebensdaten zusammengestellt. "Ich habe versucht herauszufinden, warum sie im Waisenhaus waren. Bei einigen ließ sich das nicht klären", erklärt sie. Natürlich fanden sich unter den jungen Menschen in der Einrichtung Vollwaisen, die keinen anderen Ort zum Leben hatten. Doch auch Kinder, deren Eltern noch lebten, sich aber in finanziellen Schwierigkeiten befanden, waren unter ihnen. Zumindest in Ansätzen wird erkennbar, wer diese Menschen waren, die zu den Opfern der Geschehnisse der Novembernacht vor 75 Jahren wurden.

Für die Kinder war Dinslaken nur die erste Station auf einer Reise, die sich für manche bis zum Kriegsende hinziehen sollte. Für viele der Bewohner des Waisenhauses ging es von Dinslaken aus zuerst nach Köln, wo man sich beim Wohlfahrtsamt der Synagogengemeinde Köln um die Vertriebenen kümmerte. Einige Wochen nachdem sie den Niederrhein verlassen hatten, fanden sich die meisten der Bewohner in Belgien wieder. Nachdem die Wehrmacht im Mai 1940 dort einfiel, waren auch dort Juden nicht mehr sicher. Sie mussten sich registrieren lassen.

Ab 1942 begann die SS mit dem Abtransport von Menschen aus dem Sammellager Mechelen (französisch Malines) in Richtung Auschwitz. "Man sagte ihnen, sie sollten zum Arbeiten abtransportiert werden und gab ihnen Arbeitseinsatzbefehle", erklärt Anne Prior das perfide System der Nazis.

Rund 1000 Menschen wurden mit jedem dieser Transporte ins Konzentrationslager geschickt, darunter auch die Kinder aus Dinslaken, einige erst 14 Jahre alt. Am Ende wurden fast 25000 Menschen von Mechelen aus in Richtung Ausschwitz geschickt, nur knapp 1200 von ihnen überlebten. Darunter Fritz Ehrlich und Kuno Rosenduft, jüdische Waisenkinder aus Dinslaken. "Ich konnte nicht herausfinden, ob Fritz Ehrlich heute noch lebt", erklärt Anne Prior. Kuno Rosenduft verstarb 2006 in den USA. Für die Forscherin aus Dinslaken ist die Geschichte des jüdischen Waisenhauses noch lange nicht ganz erarbeitet. "Wir wissen noch sehr wenig und diese Erkenntnis macht demütig", sagt sie am Ende ihres Vortrags

(RP)
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