Marl Schicht im Schacht auf Auguste Victoria

Marl · In Marl hat die vorletzte Zeche des Ruhrgebiets die Förderung eingestellt. Viele Bergleute stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Im Förderturm stehen leere Loren auf dem Gleis, Kohle werden sie nie wieder transportieren. Nur symbolisch steht vor dem Förderkorb noch ein Waggon, der bis über den Rand mit schwarz glänzenden Brocken gefüllt ist. Dann öffnet sich die Tür, ein paar Bergleute treten heraus und die letzte Schicht in der Zeche "Auguste Victoria" ist zu Ende.

Auch für Frank Kalpein ist gestern der letzte Tag als Bergmann. Obwohl er den Termin schon lange kennt, kann er noch immer nicht begreifen, dass dies seine letzte Grubenfahrt war: "Das ist wie der Tod eines Familienmitglieds, darauf kann man sich nicht vorbereiten", sagt er und schluckt schwer. Sein ganzes Berufsleben lang hat der 49-Jährige im Bergwerk gearbeitet, erst als Bergmechaniker, dann als Aufsichtshauer. Nun geht er in den Vorruhestand, hofft auf einen Mini-Job beim Landschaftsgärtner, um seine Gehaltsreste aufzubessern.

1000 Bergleute arbeiteten zuletzt noch auf "Auguste Victoria" oder "AV", wie sie hier sagen. In den besten Zeiten waren es sogar einmal mehr als 10.000, aber das ist lange her, Anfang der 70er Jahre. 116 Jahre lang gab das Bergwerk den Menschen hier Arbeit und noch mehr: Identität, Zugehörigkeit und Stolz. Doch Importkohle und Öl sind billiger, der Ausstieg aus der Steinkohle ist schon längst beschlossene Sache. 2018 werden auch die beiden letzten noch verbliebenen nordrhein-westfälischen Zechen in Bottrop und Ibbenbüren schließen.

Norbert Maus, RAG-Gesamtbetriebsratschef, kann diese politische Entscheidung bis heute nicht verstehen: "Das war eine falsche Entscheidung, das wird sich noch zeigen", ruft er seinen Kumpeln zu und dabei versagt ihm mehrfach die Stimme. Die Politiker in Berlin und Brüssel macht er verantwortlich und fordert zugleich mehr Geld, "damit wir hier nicht das Armenhaus Deutschlands werden." Den Marler Bürgermeister Werner Arndt weiß er dabei an seiner Seite. Denn Hunderte Arbeitslose mehr, das verkraftet eine Ruhrgebietsstadt wie Marl nicht so ohne weiteres. Arndt hofft darauf, dass sich das Zechengelände in ein Gewerbegebiet, wie für Logistikunternehmen, umwandeln lässt. Eine erste Machbarkeitsstudie ist immerhin versprechend ausgefallen.

Viel Politprominenz ist gestern nach Marl gekommen, um den Bergleuten Mut zuzusprechen. Der NRW-Wirtschafts-, der Arbeits- und der Finanzminister (alle SPD) sind gekommen und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Immerhin falle kein Bergmann ins Bergfreie, es gebe keine betriebsbedingten Kündigungen, die Landesregierung werde die Region auch weiterhin nicht im Stich lassen. Und die Werte der Bergleute wie Zuverlässigkeit und Solidarität hätten von hier aus ganz Deutschland geprägt, sagt sie, die Kumpel könnten stolz auf sich sein. Sie ist gern gesehen in Marl, die Ministerpräsidentin. Das Ende des Steinkohlebergbaus lasten die Kohlekumpel den Christdemokraten und Krafts Vorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) an.

(RP)
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