Umstrittene Verordnung Wie die EU die Wuppertaler Tafel ausbremst

Wuppertal · Die Wuppertaler Tafel kann kein warmes Essen mehr an den Kinderschutzbund und weitere Organisationen liefern. Schuld ist eine EU-Verordnung. Dies sorgt für Empörung. Darf eine Behörde eine gemeinnützige Einrichtung von solchen Vorschriften ausnehmen?

 Eine warme Suppe für Bedürftige (Symbolbild).

Eine warme Suppe für Bedürftige (Symbolbild).

Foto: dpa

Bis zu 15 Kinder kommen am Tag, viele haben den ganzen Tag noch nichts gegessen. "Sie kommen hier hin und haben Hunger bis unter die Arme", sagt Kerstin Holzmann. Sie ist Mitarbeiterin im Ortsverband Wuppertal des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB). Bislang konnte Holzmann den Kindern zusammen mit den ehrenamtlichen Helfern in den Räumen der Organisation in Wuppertal-Elberfeld mittags kostenlos eine warme Mahlzeit anbieten.

Doch das dürfte sich bald ändern. Bis vor wenigen Tagen bekam der Kinderschutzbund das Essen gratis von der Wuppertaler Tafel geliefert. Die kann diese Mahlzeiten - gekocht in der eigenen Küche - nun nicht mehr anbieten. Oder besser gesagt: Sie darf nicht mehr. Denn eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2004 besagt, dass Organisationen, die mehr als ein Drittel ihrer warmen Mahlzeiten an andere Einrichtungen liefern, als gewerblicher Betrieb gelten. Sie unterliegen damit der Zulassungspflicht.

Ein solcher Gewerbebetrieb muss ganz andere Auflagen erfüllen. Da geht es um bauliche Maßnahmen, Hygienevorschriften, eine ausführliche Dokumentation, Proben von Speisen und Ähnliches. Auflagen, die die Wuppertaler Tafel so nicht erfüllen kann. "Da sind die Vorschriften noch härter, das kann eine Tafel nicht leisten", sagt der Vorsitzende der Wuppertaler Einrichtung, Wolfgang Nielsen. In der Küche seiner Tafel arbeiten Euro-Jobber, Ehrenamtliche, Menschen, denen soziale Teilhabe ermöglicht werden soll. Rund 80 Menschen seien insgesamt für Küche und Kantine im Einsatz.

Bei einer Kontrolle war dem zuständigen Bergischen Lebensmittelamt aus Solingen aufgefallen, dass die Wuppertaler Tafel mehr warme Mahlzeiten ausliefert, als laut der EU-Verordnung erlaubt ist. Von der Stadt Solingen heißt es, die Verordnung gelte auch für Organisationen wie die Tafel, "weil die Lebensmittelsicherheit für alle Betriebe und insbesondere für alle Menschen, welche die dort hergestellten Produkte verzehren, Grundvoraussetzung sein muss." Die Tafel müsse sich wie jeder Betrieb an geltendes Recht halten.

Anfang Oktober erhielt Nielsen daher ein Schreiben mit der Aufforderung, seine Tafel als Gewerbebetrieb anzumelden. "Dann mussten wir überlegen, an welchen Stellen wir das Essen einsparen, um unter die Quote zu kommen", sagt er.

Seit Montag liefert die Tafel daher kein Essen mehr an den Kinderschutzbund. Betroffen sind laut Nielsen noch die Kinder- und Jugendfarm Wuppertal sowie zwei städtische Jugendeinrichtungen. Auch das "Plattenessen", bei dem ein Sozialmobil Suppen, warme Getränke und andere Snacks zu den Obdachlosen und Bedürftigen bringt, habe man stark einschränken müssen. Zumindest im Stadtteil Elberfeld soll dieses Angebot aber wieder aufgenommen werden: "Wir müssen jetzt zuerst an unsere Leute denken", sagt Nielsen: "Die Obdachlosen, die Alkoholkranken, die Drogensüchtigen."

Er betont, dass das Lebensmittelüberwachungsamt nicht wegen Hygienemängeln aktiv geworden sei. "Ich bin ja froh, dass es diese Kontrollen gibt. Denn wenn sie Lebensmittel so weitergeben, besteht immer die Gefahr, dass sie jemanden schädigen können." Ihn ärgert etwas anderes: "In unserer Kantine bieten wir Frühstück, Mittag und Abendessen an. Hier können wir rausgeben, so viel wir wollen." Bei dem ausgelieferten Essen hingegen gebe es Probleme.

Die Stadt Solingen teilte unserer Redaktion mit: "Mahlzeiten, die ausgeliefert werden, müssen verpackt, warmgehalten, umgefüllt und ggf. wieder erwärmt werden. Hier ergeben sich mikrobiologische Risiken. Daher hat der Gesetzgeber nachvollziehbar strengere Maßstäbe angesetzt."

Andere der insgesamt 170 Tafeln in Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landesverbandes der NRW-Tafeln nicht betroffen; die Einrichtung in Wuppertal sei mit ihrer großen Suppenküche und den Auslieferungen eher ein Einzelfall.

Der Wuppertaler Kinderschutzbund behilft sich derzeit noch mit einem Caterer. Aufgrund der Kosten - monatlich rund 1.200 Euro - werde das aber nur noch bis zu den Herbstferien möglich sein. Was danach kommt, weiß Holzmann nicht. Womöglich sei das ganze Angebot gefährdet - die Hausaufgabenbetreuung, die Spielangebote, die Koch-AGs. "Wir werden nur sehr gering von der Stadt bezuschusst, den Großteil der Projekte finanzieren wir durch unsere Kleiderläden. Wenn jetzt plötzlich diese enormen Kosten auf uns zukommen, dann müssen wir gucken. Das sind Ausgaben, die überhaupt nicht eingeplant waren", sagt Holzmann.

Ein bisschen Hoffnung besteht aber: Noch in dieser Woche wollen sich Vertreter des Lebensmittelüberwachungsamtes mit der Wuppertaler Tafel treffen und nach einer gemeinsamen Lösung suchen. Holzmann sagt: "Vielleicht ist es ja doch irgendwie möglich, dass bei dieser Richtlinie für die Tafel eine Ausnahme gemacht wird."

(oko)
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