Richter im Prozess um totes Kind "Fotos haben mich an Bilder aus KZ erinnert"

Winterberg · Nach dem Tod eines Zweijährigen in Winterberg muss sich seine Mutter ab Mittwoch vor Gericht verantworten. Die 38-jährige Tanj S. soll das Kind nicht ausreichend versorgt haben. Die Bilder des toten Jungen haben ihn an KZ-Bilder erinnert, sagte der Richter beim Prozessauftakt.

Tanj S. mit ihrem Anwalt: Die 38-Jährige verantwortet sich seit Mittwochmittag vor dem Amtsgericht in Medebach.

Tanj S. mit ihrem Anwalt: Die 38-Jährige verantwortet sich seit Mittwochmittag vor dem Amtsgericht in Medebach.

Foto: dpa, mg htf

Er sei schockiert gewesen, als er die Fotos des ausgemergelten Zweijährigen gesehen habe, sagte Richter Ralf Fischer zum Prozessauftakt vor dem Amtsgericht in Medebach. "Das hat mich an Bilder aus Konzentrationslagern erinnert." Die in Bremen geborene Tanj S. habe den lebensbedrohlichen Zustand ihrer Kinder nicht erkannt, sagte sie vor Gericht. Die Kinder hätten sich immer wieder gegenseitig mit Krankheiten angesteckt, sagte die Mutter von insgesamt neun Kindern. "Das war wie Ping-Pong."

Fahrlässige Tötung wird der Mutter aus Winterberg im Hochsauerlandkreis vorgeworfen. Die 38-Jährige muss sich wegen des Todes ihres Sohnes im Februar 2014 verantworten und zudem wegen fahrlässiger Körperverletzung: eine sieben Monate alte Tochter musste ins Krankenhaus. Auch sie zeigte Symptome mangelnder Versorgung.

Der Junge war in einer Kinderklinik gestorben. Die Versorgungsmängel waren aufgefallen, als er und seine Schwester wegen einer Grippe ins Krankenhaus kamen. Das Mädchen überlebte, dem Zweijährigen konnten die Ärzte nicht mehr helfen.

Die Kinder hätten beide zusätzlich zu einer lebensbedrohlichen Austrocknung deutliches Untergewicht gehabt, heißt es in der Anklageschrift. Die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass die Frau mit der Erziehung und Versorgung ihrer neun Kinder überfordert gewesen ist - ein Vorsatz wird ihr aber nicht unterstellt. "Wir sagen nicht, dass Sie etwas gemacht haben. Aber die Anklage wirft Ihnen vor, keine Hilfe geholt zu haben", sagte Richter Fischer.

Mitarbeitern des Jugendamts sei der Staatsanwaltschaft zufolge kein Vorwurf zu machen. Schon vor dem tragischen Tod des Zweijährigen war die Familie intensiv vom Jugendamt betreut worden, sagte ein Sprecher des zuständigen Hochsauerlandkreises. Hinweise auf eine akute Gefährdung der Kinder habe es zum damaligen Zeitpunkt aber nicht gegeben. Neben dem Allgemeinen Sozialdienst und einer speziellen Kinderschutz-Fachkraft sei auch eine Familienhebamme im Einsatz gewesen. Rund drei Wochen vor dem Tod des Jungen habe man die Familie das letzte Mal besucht. Hinweise auf die Unterversorgung habe es dabei nicht gegeben.

Nach dem Tod des Zweijährigen wurden die acht Geschwister vom Jugendamt in Obhut genommen. Die vier Brüder und vier Schwestern sind heute zwischen 2 und 17 Jahren alt. Fünf von ihnen sind in Einrichtungen untergebracht, das jüngste Mädchen in einer Pflegefamilie. Die beiden ältesten Söhne seien auf eigenen Wunsch wieder zu ihrer Mutter zurückgezogen, sagte der Sprecher der Kreisverwaltung. Das Jugendamt unterstütze die Frau bei der Erziehung der 13 und 17 Jahre alten Söhne.

(kl / dpa)
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