Umfrage des Lehrerverbands Fast jeder zehnte Lehrer im Dienst körperlich attackiert

Düsseldorf · Viel mehr Lehrer erleben Gewalt an ihren Schulen als bisher angenommen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage. Fast jede zehnte Lehrkraft wurde schon körperlich attackiert, ein Viertel der Befragten wurde beschimpft, bedroht oder gemobbt.

 Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, stellt in Düsseldorf eine Umfrage zu Gewalt gegen Lehrer vor.

Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, stellt in Düsseldorf eine Umfrage zu Gewalt gegen Lehrer vor.

Foto: dpa, fg lof

Gewalt gegen Lehrer gehörte jahrelang zu den Tabuthemen im Schulbetrieb. Jeder wusste, dass es das gibt. Aber sprechen wollten nur wenige darüber. Eine Umfrage der Lehrergewerkschaft VBE belegt nun, dass das Ausmaß größer ist als gedacht: Fast jeder zehnte Lehrer in NRW wurde im Dienst schon einmal Opfer von körperlicher Gewalt. Ein Viertel der Befragten gab an, im Dienst schon beschimpft, bedroht, gemobbt oder anderweitig Opfer psychischer Gewalt geworden zu sein.

Für die Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa bundesweit 1951 Lehrkräfte befragt, 500 davon in NRW. "In NRW liegt die Gewalt gegenüber Lehrern leicht über dem Bundesdurchschnitt", sagte VBE-Chef Udo Beckmann am Montag auf einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Landtag. Ein gesicherte Erklärung dafür hat er nicht: "Vielleicht hängt es damit zusammen, dass es hier mehr Ballungsräume gibt", vermutet der Gewerkschafter.

In NRW arbeiten 181.000 Lehrer. Wenn acht Prozent davon schon Opfer körperlicher Gewalt geworden sind, sind 14.500 Lehrerinnen und Lehrer mindestens einmal tätlich angegriffen worden. "Wir waren darauf vorbereitet, dass die Zahlen hoch sind", sagte Beckmann, "aber wir haben nicht damit gerechnet, dass über die Hälfte aller Befragten von Gewalt an ihrer Schule berichten."

Den Zahlen zufolge ist das Problem an Hauiptschulen, Gesamtschulen und Förderschulen besonders ausgeprägt. An Förderschulen haben sogar 38 Prozent der befragten Lehrer persönlich körperliche Übergriffe erlebt. Dicht gefolgt ausgerechnet von den Grundschulen: Dort wissen 33 Prozent der Befragten von Gewalt zu berichten, zwölf Prozent der Grundschullehrer haben schon selbst einen körperlichen Angriff erlebt.

Viele Angriffe werden nicht gemeldet

Beckmann machte für das Problem auch die Kultur des Schweigens verantwortlich, die sich nach seinem Eindruck über das Thema legt. 15 Prozent der psychischen Angriffe durch Schüler und 35 Prozent der durch Eltern würden erst gar nicht gemeldet. "Wenn der Grund dafür die fehlende Unterstützung der Verantwortlichen ist, wird Gewalt gegen Lehrkräfte zu deren Privatproblem erklärt", sagte Beckmann.

In einem Fall etwa habe ein Schüler behauptet, von einem Lehrer geschlagen worden zu sein. Die Polizei dokumentierte zahlreiche blaue Flecken auf seinem Rücken und seinen Schultern, drei andere Schüler bezeugten die angebliche Prügelattacke durch den Lehrer. Dennoch war sie frei erfunden. Spätere Ermittlungen ergaben, dass die Schüler sich untereinander geprügelt hatten.

"Trotzdem blieb eine Richtigstellung durch die Schulbehörde aus", berichtet Beckmann. In einem anderen Fall sei eine NRW-Grundschullehrerin von Schülern und Eltern tagelang in einer Whats-App-Gruppe gemobbt worden. Anlass war ein geplanter Klassenausflug in eine Moschee. "Erst als die Lehrerin sich anwaltliche Hilfe holte, wurde die Schule tätig", so Beckmann. Zwei Prozent der Lehrer gaben an, selbst an ihrer Schule schon einmal Ziel von Cybermobbing im Internet gewesen zu sein.

Martin Kieslinger vom VBE berät als Justiziar schon seit 15 Jahren Schulen und Lehrer, wie sie mit Gewalt umgehen können. Er erzählt von dem Dilemma, dass Schüler oft nicht strafrechtlich belangt werden können. Einer seiner aktuellen Fälle belegt das. "Heute morgen hatte ich einen Anruf von einer Grundschullehrerin, die von einem Schüler so geschlagen und getreten worden ist, dass sie erstmal zum Arzt musste und nun zwei Tage zu Hause bleiben muss", erzählt Kieslinger.

Der Schüler soll eine Entwicklungsverzögerung haben und ausgeflippt sein. "Strafrechtlich wird das keine Konsequenzen haben, weil er unter 14 Jahre ist", sagt der Jurist. "Es gibt aber Ordnungsmaßnahmen, die die Schulleitung nutzen kann." Diese Ordnungsmaßnahmen reichen vom schriftlichen Verweis bishin zum Rausschmiss. "Das kommt allerdings sehr selten vor." Es gibt außerdem die Möglichkeit, auffällige Schüler in eine Parallelklasse zu überweisen oder sie zeitlich begrenzt vom Unterricht auszuschließen.

Manchmal werden auch Eltern von Schülern zu Tätern. Kieslinger kann sich an einen Fall erinnern, als mehrere Familienangehörige einem Lehrer in dessen Haus bedroht haben, weil er die Tochter der Familie als "Schlampe" bezeichnet haben soll. "Das hat sich hinterher nicht bewahrheitet", sagt Kieslinger. Überhaupt stellt er fest, dass sowohl Schüler als auch Eltern immer häufiger zu Schimpfwörtern aus der Intimssphäre greifen. "Es gibt da keine Respektbarriere wie etwa gegenüber Polizisten."

Schulministerin: "Lehrer stehen nicht alleine dar"

Auch NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann hat auf die Umfrage-Ergebnisse reagiert: "Unsere Schulen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Und deshalb berichten leider auch unsere Lehrkräfte über körperliche und psychische Gewalt. Wichtig ist mir, dass Lehrkräfte wissen, sie stehen keinesfalls allein da in einer solchen Situation", sagte Löhrmann. Ihr Ministerium habe in den vergangenen Jahren die Stellen der Schulpsychologen aufgestockt und eine Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt geschaffen. Außerdem habe man die Handlungsempfehlungen für Lehrer überarbeitet.

Wenn Sie als Lehrer auch schon einmal von Schülern attackiert wurden, können Sie sich gerne an unsere Redaktion wenden. Wir interessieren uns für Ihre Geschichte und sammeln Beispiele — auch anonym. Ihre Erlebnisse können Sie gerne an die Redaktion schicken.

(tor)
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