Bewerbungsphase für Schöffen NRW-Gerichte suchen Hunderte zusätzliche Laien-Richter für 2019

Krefeld · Rund 200.000 Straffälle werden jedes Jahr vor den Gerichten in NRW verhandelt, stets auch mit Laien auf der Richterbank. 2018 endet für rund 16.000 Schöffen die Amtsperiode. Weil die Zahl der Strafkammern ansteigt, suchen die Gerichte deutlich mehr ehrenamtliche Helfer.

An seinem ersten Tag vor Gericht musste Frank Bliem einen mutmaßlichen Erpresser verurteilen, in einem anderen Fall einen Vergewaltiger, mal geht es auch um Betrug oder Raub. "Im Laufe der Jahre war fast alles dabei", sagt Bliem. Der 50-Jährige ist seit 2015 Schöffe am Amtsgericht in Krefeld; freiwillig, ehrenamtlich und aus Überzeugung: "Für mich ist das eine Möglichkeit, etwas an die Gesellschaft zurückzugeben."

Seine Tätigkeit ist elementarer Bestandteil der Justiz in NRW. 199.549 Verhandlungen wegen mutmaßlicher Straftaten führten die Amts- und Landgerichte im Jahr 2017, im Jahr zuvor waren es sogar 203.531.

Begleitet wurden all diese Strafverfahren von 8626 Hauptschöffen, denen fast genauso viele Aushilfen zur Seite stehen. So kommen die Gerichte in Nordrhein-Westfalen in der aktuellen Amtsperiode, die 2018 nach fünf Jahren endet, auf rund 15.800 Laienrichter.

NRW-Gerichte suchen deutlich mehr Schöffen

Doch wenn die Posten im nächsten Jahr neu besetzt werden, wird diese Zahl nochmal deutlich ansteigen. Der Bedarf an zusätzlichen Hilfsrichtern ist groß. 17.155 Haupt- und Hilfsschöffen für Jugend- und Erwachsenenstrafrecht suchen die 19 Landgerichtsbezirke in NRW. Das ergab eine Umfrage unserer Redaktion unter allen Gerichten des Landes.

"Wir haben in den vergangenen Jahren zusätzliche Strafkammern bekommen, für die braucht es nun entsprechend mehr Schöffen", sagt Heike Tomaschewski, Sprecherin am Landgericht Köln. Dort werden im Vergleich zur ablaufenden Periode 354 Schöffen mehr gesucht, die Zahl der Strafkammern wurde seit 2014 von 19 auf 24 aufgestockt. Das zusätzliche Freiwilligen-Personal soll nun sicherstellen, dass die Gerichte die hohe Zahl der Strafverfahren besser abarbeiten können.

Denn für jedes Verfahren bilden zwei Schöffen und ein Richter das Gericht, bei größeren Verhandlungen vor dem Landgericht kann die Zahl der Berufsrichter auf drei erhöht werden. Laien und Profis sind bei der Urteilsfindung gleichberechtigt, im Zweifel können die Schöffen also den Hauptrichter überstimmen.

"Das habe ich bislang noch nicht erlebt", sagt Bliem. Doch "intensive Diskussionen über das Strafmaß", sagt er, habe es in den Hinterräumen des Gerichtssaals durchaus schon gegeben. Am Ende habe man immer eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Zumal der Richter für die Schöffen letztlich doch wie ein Vorgesetzter wirke. "Die Richter erläutern vor Prozessbeginn den Fall und die Aktenlage, sie helfen und unterstützen, wenn Fachwissen fehlt, und sie leben vor, wie man mit den Angeklagten umgeht", sagt Bliem.

Befangenheit bereitet manchen Schöffen Probleme

Denn tatsächlich haben Schöffen in Deutschland meist keinerlei juristische Vorerfahrung. Das Gesetz sieht vor, dass jeder zum Schöffen berufen werden darf, der nicht selbst schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde oder gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft. Wer die Eignung erfüllt, bekommt einen kurzen Crash-Kurs und darf anschließend vor Gericht mitentscheiden.

Frank Bliem ist von Beruf Sachbearbeiter bei der Rheinbahn. Rund einmal im Monat fehlt er seinem Arbeitgeber, wenn er vor Gericht ist, das Ehrenamt ist zeitintensiv. "Mal ist man einen halben, mal einen ganzen Tag in Verhandlungen." Der Arbeitgeber muss ihn für diese Zeit freistellen, etwaiger Lohnausfall wird übernommen, genauso wie die Fahrtkosten zum Gericht, zusätzlich gibt es eine Aufwandsentschädigung von sechs Euro pro Stunde - eine geringe Summe für eine große Verantwortung.

Schöffen müssen völlig unvoreingenommen an jeden zugewiesenen Fall herangehen. "Den Verhandlungstermin bekomme ich etwa einen Monat vorher. Worum es genau geht, erfahre ich aber meist erst am Verhandlungstag", sagt Bliem. Befangene Schöffen können Gerichtsprozesse verzögern oder sogar gefährden. Im Verfahren um die Duisburger Loveparade-Katastrophe hat die zuständige Strafkammer schon zweimal berufene Schöffen wegen Befangenheit abgelehnt.

Frank Bliem kennt die Problematik, auch wenn er selbst noch nie von einem Fall abgezogen wurde. "Als Familienvater ist es natürlich schwer, unvoreingenommen einen Fall von Kindesmisshandlung anzuhören", sagt er. Deshalb brauche man als Schöffe je nach Fall auch mal ein dickes Fell. "Man muss seine private Meinung völlig ausblenden, seine Gefühle außen vor lassen und sich nur an die Faktenlage halten", erklärt er.

Städte können Bürger für das Schöffenamt verpflichten

Das ist eine Herausforderung, für die die Gerichte Tausende qualifizierte Ehrenamtler suchen. Bis zum Frühjahr 2018 sammeln die Städte und Gemeinden Freiwillige, anschließend wird eine Liste aller Kandidaten an die zuständigen Gerichte weitergegeben. Die entscheiden dann, wer künftig vereidigt wird und Recht sprechen darf.

"Von Seiten der Kommunen ist angestrebt, dass die Vorschlagslisten etwa das Vierfache der benötigten Kandidaten enthalten, mindestens aber die doppelte Anzahl", sagt Jochen Grefen vom Amtsgericht Krefeld. Für die Verhandlungen nach Erwachsenen-Strafrecht werden in Krefeld 287 Schöffen gesucht, weitere 137 für das Amt als Jugendschöffe - etwa 800 Kandidaten werden also allein in Krefeld gesucht. Für ganz NRW sind es mindestens 34.400.

"Die Bewerberzahl wird nicht immer erreicht", sagt Grefen. Finden sich zu wenige Freiwillige, können die Städte und Gemeinden auch geeignete Einwohner zum Ehrenamt verpflichten. In Krefeld war dies bislang noch nicht nötig, 2013 gab es 703 Bewerber. In diesem Jahr läuft das Verfahren bislang schleppender, erst 260 Menschen haben sich beworben. Die Bewerbungsfrist endet im Mai.

Frank Bliem könnte sein Amt im kommenden Jahr abtreten, nach vier Jahren und mehr als 40 Verhandlungen. Doch er überlegt weiterzumachen und sagt: "Das Amt ist spannend, abwechslungsreich, ich würde etwas vermissen."

(cbo)
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