Terror-Gefahr Schießbefehl für Streifenpolizisten in NRW

Düsseldorf · Gegen Terroranschläge großen Stils hatte die Polizei in Nordrhein-Westfalen bislang kein Konzept. Jetzt sollen Beamte, die zufällig in der Nähe sind, marodierende Attentäter stoppen, ohne auf Spezialeinheiten zu warten.

Terror-Gefahr: Schießbefehl für Streifenpolizisten in NRW
Foto: dpa, bse;cse;fux

Als Reaktion auf die beiden Anschläge von Paris hat die nordrhein-westfälische Polizei ein völlig neues Konzept zur Abwehr terroristischer Angreifer entwickelt. Künftig sollen Polizeistreifen nicht mehr wie bisher auf das Eintreffen von Spezialeinheiten warten. Um möglichst viele Menschenleben zu retten, sollen sie nun selbst versuchen, Attentäter zu stoppen.

Das Innenministerium bestätigte gestern auf Anfrage das neue Konzept, ohne Details zu nennen. Minister Ralf Jäger (SPD) sagte unserer Redaktion: "Die Streifenpolizisten sind fast immer die Ersten am Einsatzort. Das gilt auch bei einem Anschlag. Warten auf das Eintreffen der Spezialeinheiten ist keine Option." Derzeit liegt das streng vertrauliche Papier zur abschließenden Stellungnahme beim Personalrat der Polizei. Dort mehren sich kritische Stimmen. Einige nennen die Strategie "lebensgefährlich".

Sie ist überschrieben mit "Vorgehensweise bei Szenarien mit sofortiger polizeilicher Interventionserfordernis". Die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei sollen bei Attentaten zwar auch künftig noch anrücken. Aber Streifenpolizisten, die zufällig in der Nähe sind, sollen die Täter möglichst schon vorher ausschalten. Dafür sollen sie sich den Attentätern in kleinen Einheiten aus unterschiedlichen Richtungen nähern. Das Geheimpapier sieht für die Streifen flächendeckend erheblich bessere Schutzwesten und zusätzliche Waffen vor.

Anlass für die völlig neue Interpretation von "Streifendienst" sind die Attentate von Paris im Januar und im November vergangenen Jahres. Sie haben die Sicherheitsbehörden mit einer bis dahin weitgehend unbekannten Dimension von Terror konfrontiert: militärisch ausgebildete Angreifer mit Kriegserfahrung, die ihren eigenen Tod einkalkulieren, keinen Bezug zu den Opfern haben und mit Kriegswaffen zum Teil unter freiem Himmel möglichst viele Menschen töten wollen.

In einer solchen Situation bis zu 20 Minuten auf das Anrücken eines SEK zu warten, kann den Tod Dutzender Unschuldiger bedeuten. "Es gab da dringenden Handlungsbedarf", sagte Rainer Peltz von der Polizeigewerkschaft GdP.

Jäger weitet nun den Handlungsspielraum, aber auch die Belastung herkömmlicher Streifen erheblich aus. Die Polizeistreifen sollen flächendeckend mit neuen Schulungen in zum Teil neuen Trainingszentren darauf vorbereitet werden. Jäger räumte ein: "Es ist klar, dass es keine hundertprozentige Sicherheit bei derartigen Angriffen gibt." Auch in Paris hatten bei beiden Attentaten als erstes Streifenpolizisten eingegriffen. Einer von ihnen geriet dabei massiv unter Beschuss und hätte seinen Mut beinahe mit dem Leben bezahlt.

Nach Informationen unserer Zeitung gab der Innenminister die Erarbeitung des neuen Konzeptes schon nach dem ersten Pariser Attentat Anfang 2015 in Auftrag. Abgabetermin sollte das Frühjahr 2016 sein. Nach dem zweiten Attentat im November drückte Jäger aufs Tempo und verlangte das Konzept noch im Dezember 2015.

Zu spät, meint die Opposition im Landtag. "Fakt ist, dass die nordrhein-westfälische Polizei auch über ein Jahr nach dem ersten Pariser Attentat noch immer nicht auf einen vergleichbaren Anschlag vorbereitet ist", sagte CDU-Polizeiexperte Gregor Golland. Für eine "derart gefährliche Aufgabenerweiterung" schulde Jäger den Streifenpolizisten nun im Gegenzug "die beste weltweit verfügbare Ausrüstung".

(RP)
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