Aufnahmestopp für Migranten Probleme bei der Essener Tafel waren lange bekannt

Die Maßnahme der Essener Tafel, keine neuen Migranten aufzunehmen, war seit Anfang Dezember bekannt. Im Rathaus wusste man wohl seit Januar Bescheid. Und auch der Landesverband der Tafeln soll vorher informiert gewesen sein.

Tafel in Essen hält an Stopp für Ausländer fest
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Essener Tafel hält an Stopp für Ausländer fest

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Am Montag reagierte auch die Kanzlerin.

Die Warteschlange am Hintereingang des alten Wasserturms an der Steeler Straße in Essen ist lang. Mütter stehen dort mit ihren Kindern. Ältere Männer und Frauen. Deutsche und Migranten. Alle stehen für etwas zu essen an. Fred Lange ist einer von ihnen.

Der 56-Jährige ist Neukunde der Essener Tafel und zum ersten Mal da. Er bezieht Hartz IV, den Regelsatz. Wie viele andere, die mit ihm in der Schlange stehen. "Das reicht nicht zum Leben aus", klagt er. Lange, der seit 2011 arbeitslos ist, kann verstehen, dass die Tafel sich dazu entschieden hat, bis zum Sommer keine neuen Migranten aufzunehmen. "Vielen Menschen hier in Essen geht es sehr schlecht. Sie sind arm - und auf die Tafel angewiesen", sagt er. So wie er selbst. "Irgendwas mussten die tun. Die Tafel macht schon, was sie kann. Aber sie kann auch nur so viel Essen verteilen, wie sie hat."

 SPD-Mitglied Fred Lange (56) ist Kunde der Tafel in Essen.

SPD-Mitglied Fred Lange (56) ist Kunde der Tafel in Essen.

Foto: Christian Schwerdtfeger

Und es werden von Tag zu Tag mehr Bedürftige. In kaum einer anderen deutschen Großstadt driften Arm und Reich so auseinander wie in Essen. Rund 100.000 Menschen leben dort von der Grundsicherung. Besonders schlimm ist es im Norden der Ruhrgebietsstadt. Wer dort lebt, ist arm - und meist auch bedürftig. Wie Fred Lange, der den Mitarbeitern der Tafel sehr dankbar für ihre ehrenamtliche Arbeit ist. "Schön, dass es Menschen wie sie gibt", sagt er. Darum ärgert er sich auch sehr über die Schmierereien ("Fuck Nazis" und "Nazis"), die Unbekannte in der Nacht zu Sonntag an die Fahrzeuge und die Eingangstür der Tafel gesprüht haben. Das sei unterste Schublade.

Tafel-Chef Jörg Sartor, der sich seit 13 Jahren um die Bedürftigen kümmert, hat der "Bild"-Zeitung gesagt, dass er wegen der Schmierereien und der ganzen Kritik, die auf ihn und seine Kollegen einprasselt, kurz davor wäre, hinzuschmeißen. Am Montag hat Sartor dazu geschwiegen und auf eine Vorstandssitzung der Essener Tafel verwiesen, die heute stattfindet. Und nach der er sich in einer Mitteilung über seine Zukunft äußern will. "Wir gehen aber nicht davon aus, dass er geht", sagte einer seiner Mitarbeiter unserer Redaktion. "Seine Rücktrittsdrohung war wohl der Situation geschuldet und kam aus dem Bauch heraus." Und eine weitere Mitarbeiterin sagte: "Gehen Sie mal davon aus, dass er bleibt."

Bei der Essener Tafel wundert man sich etwas über die Heftigkeit der Kritik. Und besonders über den Zeitpunkt. Denn die Entscheidung steht schon seit dem 8. Dezember 2017 auf der Internetseite der Essener Tafel. "Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 Prozent angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen", heißt es dort. Bereits seit Januar wird die Maßnahme umgesetzt. Bislang ohne Schwierigkeiten seitens der Bedürftigen.

Der Bundesverband der Tafeln hatte die Entscheidung als nicht nachvollziehbar kritisiert. Der NRW-Landesverband der Tafeln soll aber über den Plan informiert gewesen sein, sagt ein Mitarbeiter der Essener Tafel. "Herr Sartor ist schließlich zweiter Vorsitzender des Landesverbandes", betont er.

Beim Landesverband will das so direkt niemand bestätigen. "Aber Sartor hat da mal was angedeutet in der Richtung. Kann also sein, dass er das mal gesagt hat. Aber wir haben so viele Tafeln, die Probleme haben, da kann man nicht alles behalten", sagt der Landesvorsitzende Wolfgang Weilerswist. "Was ich aber genau weiß, ist, dass Sartor die Politik in Essen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass es an allen Ecken und Kanten fehlt. Und es brennt", betont Weilerswist. Der Sozialdezernent der Stadt Essen, Peter Renzel, hat nach eigenen Angaben im Januar von der Maßnahme erfahren. Er habe dann sofort die Vorsitzenden der Tafel angerufen und auf die aus seiner Sicht unglückliche Formulierung auf der Internetseite hingewiesen, schreibt er auf seiner Facebookseite.

Für Fred Lange hat sich das Anstellen gelohnt. "Ich habe eine Wurst, etwas Salat und was man sonst noch braucht, um eine Woche klar zu kommen", sagt er. Der 56-Jährige, der einen Job als Lagerist sucht, ist Mitglied der SPD. Und als solches hat er bei der Abstimmung gegen die Große Koalition gestimmt. "Sonst geht das alles so weiter", betont er. Mit so weiter meint er vor allem die Zustände in Essen. Die Armut. Und die Probleme der Tafel. "Früher hätte die SPD dafür gesorgt, dass es soweit erst gar nicht kommt und die Tafel nicht so eine Entscheidung treffen muss."

Am Montagabend schaltete sich auch die Kanzlerin in die Debatte ein. Die Entscheidung der Tafel kritisierte sie. "Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut", sagte Merkel am Montag in einem RTL-Interview. Sie hoffe, dass man da "auch gute Lösungen findet". Aber die Entscheidung der Ehrenamtlichen in Essen zeige auch "den Druck, den es gibt", und wie viele Bedürftige auf Lebensmittelspenden angewiesen sind.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, dass es sich um rechtsradikale Schmierereien handelt. Das haben wir geändert, weil die Täter bislang unbekannt sind.

(csh)
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