Angriff auf Polizei Haftrichter lässt Polizistenschläger frei

Duisburg/Düren/Essen · Nach der Attacke auf Polizisten in Düren sind zwei Tatverdächtige wieder auf freiem Fuß. Eine Aktionswoche macht auf Übergriffe auf Polizisten und Rettungskräfte aufmerksam. Der NRW-Innenminister war zum Auftakt in Marxloh.

 Bei einem Streit um ein falsch geparktes Auto sind am Samstag in Düren zehn Polizisten verletzt worden. Ein 46-jähriger Mann wurde festgenommen, ist aber inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Bei einem Streit um ein falsch geparktes Auto sind am Samstag in Düren zehn Polizisten verletzt worden. Ein 46-jähriger Mann wurde festgenommen, ist aber inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Foto: AZ/AN

Kaum jemand kennt sich besser aus auf Marxlohs Straßen als Andreas de Fries. Seit 24 Jahren ist der Polizeihauptkommissar im Duisburger Norden fast täglich auf Streife. Seit seinem Dienstantritt auf der Wache Marxloh 1992 habe sich vieles in dem Stadtteil verändert. Aber es sei besonders der Respekt in der Bevölkerung gegenüber den Beamten, der deutlich abgenommen habe. "Wir werden im Einsatz häufig angepöbelt, angefasst, beleidigt und auch angegriffen", sagt de Fries. Das habe es früher in der Häufigkeit nicht gegeben. "Das Schlimme ist, dass sich dann manchmal Gruppen gegen uns zusammenrotten."

Polizisten, Amtsträger und Rettungskräfte werden in Nordrhein-Westfalen täglich Opfer von Gewalttaten. Seit Jahren nehmen die Übergriffe zu. Und sie werden auch zunehmend brutaler. Um auf das Problem aufmerksam zu machen, hat das Land NRW zur "Woche des Respekts" aufgerufen. Geworben wird für ein besseres Miteinander. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Minister wollen sich darüber informieren, wo es an Respekt mangelt und welche Gegenrezepte es gibt. Zudem hat Kraft angekündigt, im Einsatz verletzten Polizisten zur Durchsetzung ihrer Schmerzensgeldansprüche zu verhelfen. Das Land werde künftig in Vorleistung treten,wenn Polizisten wegen Zahlungsunfähigkeit des Angreifers leer auszugehen drohen.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat zum gestrigen Auftakt Polizisten in ihrer Wache in Marxloh besucht. "Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem wir es hier zu tun haben", sagt Jäger. "Das fängt schon mit den anonymen Beleidigungen im Internet an." Duisburgs Polizeipräsidentin Elke Bartels betont, dass ihre Beamten auf der Straße bei der Vielzahl der Beleidigungen gar nicht mehr alles zur Anzeige bringen könnten. "Es ist mittlerweile so, dass sie viele Dinge ertragen, aushalten und hinnehmen", so Bartels.

Den brutalen Angriff auf die Polizeibeamten in Düren am vergangenen Samstagabend kann und will aber niemand hinnehmen. Dabei sind zehn Beamte verletzt worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollen ein 46-jähriger Mann und vier seiner Söhne (allesamt Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund) die Beamten wegen eines Streits um ein Knöllchen wegen Falschparkens attackiert haben. Einer der Söhne ist noch auf der Flucht. Der 28-Jährige soll einem Polizeibeamten mit einem Radschraubenschlüssel schwerste Gesichtsverletzungen zugefügt haben. Die zuvor festgenommenen Männer, der Vater und ein 27 Jahre alter Sohn, sind jedoch wieder auf freiem Fuß.

Die Staatsanwaltschaft habe zwar Haftbefehle gegen den 46-Jährigen und seinen 27 Jahre alten Sohn beantragt, diese seien aber vom Haftrichter nicht erlassen worden, betont ein Behördensprecher. Der Grund: Der Richter sieht offenbar keine Flucht- oder Verdunklungsgefahr. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Auch Innenminister Jäger sieht die Justiz gefordert: "Bei der Attacke mit dem Radschraubenschlüssel steckte eine Tötungsabsicht dahinter." Die Täter müssten die ganze Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen, so der Minister. Einer der Tatverdächtigen sei auch an dem gewalttätigen Platzsturm beim Bezirksligaspiel zwischen Grün-Weiß Welldorf-Güsten und den Sportfreunden Düren in der vergangenen Woche beteiligt gewesen, so Jäger.

Die Attacke auf die Beamten wird auch Thema in der nächsten Sitzung des Innenausschusses sein. FDP-Innenexperte Marc Lürbke, der den Antrag gestellt hat, nennt die Angriffe auf Polizisten in Düren erschütternd. Die Aggressions- und Gewaltbereitschaft müsste umgehend gestoppt werden. "Die Landesregierung hat es jahrelang verschlafen, realitätsnahe Konzepte zum Schutz unserer Polizeibeamten vorzulegen", kritisiert Lürbke. Er fordert eine engere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. "Dazu muss endlich auch der flächendeckende Einsatz besonders beschleunigter Verfahren erfolgen."

Das Thema dürfte auch Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) beschäftigen. Er ist zum Auftakt der Aktionswoche gestern in den Essener Norden gekommen, um die Gerichtsvollzieherin Sigrid Schulte-Stiefermann auf ihrer Tour zu begleiten. In ihrer Handtasche befinden sich mehrere Haftbefehle gegen Personen, die mehrfache Zahlungsaufforderungen ignoriert haben und nun mit einer Ersatzfreiheitsstrafe rechnen müssen. Gleich bei der ersten Adresse trifft die Gerichtsvollzieherin, die schon seit 37 Jahren Geld für andere einzutreiben versucht, nur die Frau des Schuldners an. Und einen Schäferhund, der ins Nebenzimmer gesperrt wird. Es geht um 326 Euro. Zu pfänden ist in der Wohnung nichts.

Ein paar Häuser weiter wohnt eine ältere Dame, die Ärzten und Betreuern mehrere 1000 Euro schuldet. Doch die Frau ist nicht da. "Ich komme wieder", sagt Schulte-Stiefermann. Mehrfach hat sie im Laufe der Jahre die Polizei einschalten müssen. So etwa, als ein Mann wegen einer Zwangsräumung drohte, die Gasleitung zu zerhacken. Einer Kollegin wollte ein säumiger Mieter buchstäblich an die Gurgel.

Dennoch hat Schulte-Stiefermann keine Angst, fremde Wohnungen zu betreten. Auch wenn ihr "Besuch" nicht immer im Sinne ihrer Auftraggeber verläuft, weil einfach nichts zu holen ist, so hat sie doch einen Trost parat: Ein Anspruch (Titel) auf Begleichung der Schuld ist immerhin 30 Jahre wirksam. "Wir brauchen mutige und engagierte Frauen und Männer, die den Menschen helfen, zu ihrem Geld zu kommen", sagt Minister Kutschaty. Und er fügt hinzu: "Hut ab vor dieser Aufgabe. Ohne sie würde unser Rechtssystem nicht funktionieren."

(RP)
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