Internationale Station im Eis Diese Forscherin aus NRW reist für ein Jahr an den Südpol

Münster · Eine junge Physikerin aus Münster wird ein Jahr lang am südlichsten Punkt der Erde forschen. Im ewigen Eis haben die Wissenschaftler mit ganz alltäglichen Problemen zu kämpfen. Ein Gespräch über das Leben in der Kälte, Anti-Stress-Strategien und Termine.

 Kernphysikerin Raffaela Busse wird ein Jahr am Südpol verbringen und hat sich für die lange Reise dicke Kleidung zugelegt.

Kernphysikerin Raffaela Busse wird ein Jahr am Südpol verbringen und hat sich für die lange Reise dicke Kleidung zugelegt.

Foto: dpa, cas

Ende Oktober beginnt für Raffaela Busse die große Reise. Ein Jahr lang wird die 26-jährige Forscherin der Universität Münster auf der US-amerikanischen Forschungsstation Amundsen-Scott-Station am Südpol verbringen, um in einem internationalen Forscher-Team zu arbeiten. Weltweit hatten sich 50 Wissenschaftler für die Arbeit beworben. Busse bekam den Zuschlag. Wie bereiten sich die Teilnehmer auf ein Leben auf engstem Raum vor? Woran forscht das Team? Und was passiert, wenn jemand krank wird?

Bald werden Sie mit vielen Menschen auf engem Raum leben. Haben Sie sich schon überlegt, was Sie machen, wenn Ihnen mal alles furchtbar auf die Nerven geht?

Raffaela Busse Auf der Station gibt es einen Fitnessraum, in dem, glaube ich, ein Boxsack hängt. Den werde ich dann hauen. Das ist eine meiner lang bewährten Anti-Stress-Methoden. Außerdem hat jeder Bewohner einen eigenen Schlafraum mit einem kleinen Bett und einem Schreibtisch. Da kann jeder für sich entscheiden, wie viel Zeit er mit den anderen verbringt. Wenn mal gar nichts mehr geht, kann man sich ja auch warm anziehen und eine Runde um den Block laufen. Das kühlt das Gemüt. Vor einem Lagerkoller habe ich bislang keine Angst.

Wie muss man sich die Station überhaupt vorstellen? Als Dorf?

Busse Alle Bewohner leben unter einem Dach. Je nach Jahreszeit sind es 40 bis 150 Leute aus ganz verschiedenen Ländern. Die meisten Labore sind aber ein Stück außerhalb, da muss man dann ab und an durch die Kälte stapfen. In der Station gibt es Gemeinschaftsräume, eine Sporthalle und einen Fitnessraum. Was das Leben vor Ort angeht, kann ich nur spekulieren. Aber ich glaube, alles ist irgendwie simpler.

Inwiefern?

Busse Man muss nicht einkaufen gehen zum Beispiel. Man muss keine Behördengänge erledigen oder Rechnungen zahlen und hat keine Termine wie im "normalen" Leben. Außerdem gibt es am Südpol ja keinen Tag-Nacht-Wechsel, wie wir ihn hier kennen. Wer will, kann sich seine Uhrzeit selber aussuchen. Die Kantine hat rund um die Uhr geöffnet. Die lange antarktische Nacht ist eine gute Gelegenheit, seinen Biorythmus zu finden.

Das Leben am Südpol ist eine Extremsituation auf Dauer. Wie werden Sie darauf vorbereitet?

Busse Jeder wird für den Brandfall und für medizinische Notfälle geschult. Später in der Station wird jeder Teilnehmer einem von vier Teams zugeordnet, die jeweils auf verschiedene Notfälle spezialisiert sind. Jeder Teilnehmer muss außerdem einen Psychotest absolvieren.

Gibt es Aufgaben, die jeder erledigen muss?

Busse Putzen und Schneeschippen.

Braucht man am Südpol eigentlich Geld?

Busse Viel ausgeben werde ich in dem Jahr nicht. Es gibt einen kleinen Laden, in dem man Sachen wie Seife oder Schokoriegel kaufen kann. Geld habe ich eher im Vorfeld ausgegeben, zum Beispiel für warme Unterwäsche.

Was passiert, wenn jemand zum Beispiel wegen der Kälte krank wird?

Busse Auf der Station gibt es Ärzte und sogar einen kleinen Operationssaal. Für komplizierte Verfahren sind wir aber nicht ausgerüstet.

Und was ist, wenn jemand die Station verlassen muss?

Busse Im Sommer geht das noch, im Winter kann man die Station im schlimmsten Fall gar nicht verlassen. Die tiefen Temperaturen und das Wetter insgesamt machen die Landung eines Flugzeugs in der Regel unmöglich. Sollte jemand die Station verlassen müssen, muss das Wetter mitspielen.

Können Sie für Laien erklären, worum es bei Ihrer Forschung geht?

Busse Wir suchen nach hochenergetischen, kosmischen Neutrinos. Neutrinos sind sehr kleine, neutrale Teilchen, von denen es unheimlich viele gibt - sie interagieren nur nicht sehr gerne mit Materie. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, so eine Interaktion zu beobachten, braucht man einen sehr großen Detektor. In einen Kubikkilometer großen Eiswürfel tief unter der Oberfläche am Südpol wurden lange Ketten mit optischen Sensoren versenkt. Wenn nun ein Neutrino mit dem Eis wechselwirkt, gibt es einen Lichtblitz. Die Daten werden an die Oberfläche geschickt und wir können sie speichern. Meine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass die Computer, von denen der Detektor gesteuert wird, rund um die Uhr laufen.

Was bringt es, die Neutrinos zu erforschen? Warum ist das wichtig?

Busse Neutrinoforschung ist Grundlagenforschung. Wir wollen herausfinden, wie unser Universum funktioniert - und Neutrinos könnten uns helfen, seine Geschichte zu verstehen. Grundlagenforschung zahlt sich oft erst auf lange Sicht aus. Daher ist sie manchmal schwer zu begreifen. Aber ohne Grundlagenforschung hätten wir heute keine Smartphones.

Was hat Ihre Familie gesagt, als Sie ihr gebeichtet haben, dass Sie weggehen?

Busse Meine Eltern finden es cool, meine Oma war weniger begeistert, mein Bruder hat mich sogar für bekloppt erklärt. Die meisten sagen, sie selbst würden es nie machen, fänden aber gut, dass ich es wage.

Wie können Sie vom Südpol aus Kontakt zu Außenwelt halten?

Busse Die gesamte Kommunikation geht über Satellit. Diese Verbindung steht in der Regel für mehrere Stunden am Tag. In dieser Zeit können wir telefonieren oder Mails verschicken. Für wissenschaftliche Kommunikation oder Notfälle gibt es spezielle Satelliten, die rund um die Uhr erreichbar sind. Ein Handynetz gibt es am Pol natürlich nicht.

(rpo)
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