Wachsende Unsicherheit Nachfrage nach Waffenscheinen in NRW steigt

Düsseldorf · Immer mehr Menschen in NRW besitzen einen Kleinen Waffenschein und frei verkäufliche Waffen. Als Grund sehen Experten ein steigendes Gefühl der Unsicherheit. Die Polizeigewerkschaft zeigt sich besorgt über die Entwicklung.

 Welche Waffen sind in Deutschland freiverkäuflich? Und welche bekommt man nur mit einem Großen Waffenschein?

Welche Waffen sind in Deutschland freiverkäuflich? Und welche bekommt man nur mit einem Großen Waffenschein?

Foto: graf/Schnettler

Mehrere Geschäfte hat Ingrid Stegler in der Moerser Innenstadt auf der Suche nach einem Pfefferspray in der vergangenen Woche abgeklappert. Doch Fehlanzeige: Das Abwehrmittel war überall ausverkauft. In ihrem Wohnviertel gab es zuletzt mehrere Einbrüche, "und als mein Mann sagte, dass er für ein paar Tage beruflich wegfahren muss und ich alleine zu Hause bleibe, erschien mir der Gedanke beängstigend", erklärt die 65-Jährige. Das Reizgas trage dazu bei, dass sie sich sicherer fühle und im Notfall verteidigen könne. Schließlich bekam sie ein Exemplar von einer ihrer Golffreundinnen, die auch alle mit dem Spray ausgestattet seien, geschenkt. "Ich nehme es auch mit, wenn ich zum Beispiel abends spazieren gehe", sagt sie.

Die Nachfrage nach sogenannten freien Abwehrmitteln habe sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, sagt Ingo Meinhard, Geschäftsführer des Verbandes deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VdB). Das habe eine Umfrage unter Händlern ergeben. Besonders beliebt zur Selbstverteidigung sind neben Pfefferspray Schreckschusspistolen und Gasrevolver, für die man lediglich einen Kleinen Waffenschein braucht.

Doch schon bei freiverkäuflichen Abwehrmitteln, für die man keine Nachweise benötigt, sei Vorsicht geboten, sagt Meinhard. Denn wer sich nicht an gesetzliche Vorgaben hält, könne in einer Notwehrsituation unfreiwillig zum Täter werden. "Pfefferspray etwa ist ausschließlich für den Einsatz gegen aggressive Tiere gedacht. CS-Gas hingegen darf man im Notfall gegen Personen richten", so Meinhard - allerdings ist die Verwendung erst ab einem Alter von 14 Jahren erlaubt.

Experten warnen davor, sich aus Angst vor Einbrechern zu bewaffnen, da dies dazu führen könne, sich selbst oder andere ungewollt zu verletzen. "Man muss immer bedenken: Die Waffe kann auch gegen einen selbst gerichtet werden, und für Laien ist es schwierig, sich in einer kritischen Lage damit zu schützen", sagt Daniela Dässel, Sprecherin der Polizei im Rhein-Kreis Neuss.

Zudem darf man sich in Deutschland nicht uneingeschränkt gegen einen Einbrecher wehren. Besser als eine Waffe seien CS-Gas (Reizgas), ein Schrillalarm, der den Aggressor irritiert und die Umgebung auf die Situation aufmerksam macht, oder eine Hochfrequenztaschenlampe, um einen Angreifer zu blenden, sagt Meinhard. "Ich darf mich zwar verteidigen, aber nur, um aus einer Situation herauszukommen", erklärt der Experte. Nach der Verwendung einer solchen Lampe etwa könne man fliehen, habe den Angreifer aber nicht weiter verletzt. "So kann man hinterher nicht wegen Körperverletzung zur Rechenschaft gezogen werden." Eine solche Taschenlampe kostet beim VdB-Händler etwa 40 Euro. Zum Vergleich: Die Schreckschusspistole schlägt mit etwa 130 Euro zu Buche.

Die Zahl der Anträge für den Kleinen Waffenschein, also für die Erlaubnis, Gas- und Schreckschusspistolen erwerben und führen zu dürfen, sei in den vergangenen Jahren gestiegen, heißt es aus dem NRW-Innenministerium. So besaßen Ende 2014 insgesamt 64.686 Personen den Kleinen Waffenschein. Im Jahr zuvor waren es 2685 weniger (minus 4,3 Prozent). Die NRW-Statistik für 2015 liegt erst im Januar vor.

Der Trend habe sich in diesem Jahr weiter fortgesetzt, berichten Polizeisprecher aus mehreren Städten und Kreisen. Im Kreis Kleve etwa ist die Zahl der Kleinen Waffenscheine in weniger als einem Jahr von 900 (Stand Ende 2014) auf 1023 (Stand 10. Dezember) gestiegen (plus 13,7 Prozent), im Kreis Mettmann sind aktuell rund 1900 Kleine Waffenscheine verzeichnet. Vor einem Jahr waren es 1689 - ein Plus von 12,5 Prozent. Auch im Rhein-Kreis Neuss hat die Zahl zugenommen: seit 2013 von 1440 auf nun rund 1600. Die Neuanträge haben sich im Bereich der Polizeidirektion Wuppertal, Remscheid und Solingen von 155 im vergangenen Jahr auf 291 bis jetzt erhöht.

Ob auch die Zahl der damit erlaubten Abwehrwaffen größer geworden sei, könne man jedoch nicht sagen, so ein Sprecher, da Schreck- und Gasschusspistolen beim Kauf nicht registriert werden. Auf der anderen Seite könne man einen Rückgang von Waffenbesitzkarten verzeichnen, also die Erlaubnis, scharfe Waffen zu erwerben. Diese Karte besitzen vorrangig Sportschützen, Jäger oder Sammler.

Viele Menschen, gerade ältere, fühlen sich in Zeiten brutaler Überfälle unsicher, das sei aber nicht mit einer steigenden Zahl von Angriffen zu belegen, erklärt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW, Arnold Plickert. Die Tendenz zur zunehmenden Bewaffnung hält er für bedenklich: "Das ist der verkehrte Weg", sagt Plickert. "Mehr Waffen bedeuten auch ein größeres Risiko, dass etwas passiert." Jeder, der einen Waffenschein beantragt, müsse Zuverlässigkeit, Sachkunde und Bedarf nachweisen - das werde von den Polizeidienststellen auch streng kontrolliert.

(RP)
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