Nordrhein-Westfalen Messerangriffe nehmen zu

Düsseldorf · Was früher die Faust war, ist heute das Messer. Die Fälle von Messerattacken haben stark zugenommen. Die Stichwaffe gehöre mittlerweile zur Grundausstattung der 15- bis 30-Jährigen, sagt die Polizei. Eine gefährliche Entwicklung.

 Mit einem solchen Messer ist in Mönchengladbach ein 17-Jähriger von einem 20-Jährigen getötet worden.

Mit einem solchen Messer ist in Mönchengladbach ein 17-Jähriger von einem 20-Jährigen getötet worden.

Foto: dpa

Die meisten Badegäste der "Blauen Lagune", einem Strandbad in Wachtendonk, waren gerade dabei, ihre Sachen einzupacken und nach Hause zu fahren. Auch eine fünfköpfige Gruppe junger Männer befand sich gegen 19 Uhr auf dem Weg zum Ausgang. Das allerdings nicht ganz freiwillig. Sie waren des Bades verwiesen worden, weil sie zu laut gewesen sein sollen.

 Mit diesem Messer wurde eine 32-jährige Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss während der Arbeit getötet.

Mit diesem Messer wurde eine 32-jährige Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss während der Arbeit getötet.

Foto: Polizei / dpa

Beim Verlassen des Geländes gerieten sie plötzlich mit einem 31-Jährigen in Streit. Dieser griff im Verlauf der Auseinandersetzung in seine Schwimmtasche und zog ein Küchenmesser mit einer acht Zentimeter langen Klinge heraus. Damit stach er auf einen 23-Jährigen aus der Gruppe ein und verletzte ihn am Hals. Der Täter wurde noch in der "Blauen Lagune" festgenommen. Auslöser des Streits soll eine Nichtigkeit gewesen sein, womöglich ging es nur um eine Zigarette.

"Wer ein Messer dabei hat, zückt es auch schnell"

Es sind Fälle wie dieser aus der vergangenen Woche, die sprachlos machen. Warum sticht man jemanden einfach so nieder? Und wieso haben manche überhaupt ein Messer bei sich? Fragt man bei der Polizei nach, so erhält man meistens die Antwort, dass dieses Verhalten mittlerweile trauriger Alltag auf unseren Straßen ist. "Bei 15- bis 30-jährigen Männern gehören Messer längst zur Grundausstattung, wenn sie die Wohnung verlassen", sagt Arnold Plickert, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Das ist eine brandgefährliche Entwicklung. Wer ein Messer dabei hat, zückt es auch schnell."

 Eine Kopie des Tatmessers, mit dem ein Mann (48) in Hagen zwei Nachbarn erstochen hat.

Eine Kopie des Tatmessers, mit dem ein Mann (48) in Hagen zwei Nachbarn erstochen hat.

Foto: dpa

Tatsächlich sind die Polizeimeldungen fast täglich voll mit Straftaten, bei denen Messer eine Hauptrolle spielen. So stach in Hamm am Wochenende ein 16-Jähriger auf einen 19-Jährigen ein und verletzte ihn schwer am Oberkörper. In Essen bedrohte am Samstag ein 36-Jähriger Polizisten und Rettungskräfte mit einem Messer. Erst ein Spezialeinsatzkommando konnte ihn überwältigen.

Ebenfalls am Samstag zog in Dortmund ein 17-Jähriger plötzlich in einer Gaststätte ein Messer und stach einen 30-Jährigen nieder. Diese Taten hätten in den vergangenen Wochen stark zugenommen, bestätigt Plickert. "Wir stellen eine dramatische Zunahme besonders seit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht fest", betont der GdP-Chef.

Täter greifen häufig zu Küchenmessern

Dabei seien es längst nicht mehr nur die Klappmesser, mit denen sich die Heranwachsenden bewaffnen und zustechen, sondern laut Polizei vor allem kleine und mittelgroße Küchenmesser, die sie von zu Hause haben. Noch aber werden diese Messerangriffe nicht gesondert in der Kriminalstatistik erfasst. "Sie fallen bislang noch in die Kategorie Gewaltkriminalität und andere Rohheitsdelikte", erklärt ein Sprecher des Landeskriminalamtes.

Psychologen machen für diese Entwicklung mehrere Gründe verantwortlich. "Zum einen fühlen sich die jungen Leute durch die jüngsten Terroranschläge fälschlicherweise legitimiert, sich selbst zu bewaffnen", sagt die Düsseldorfer Psychologin Susanne Altweger. "Zum anderen denken sie, dass sie mit einem Messer zur Welt der Erwachsenen gehören."

Auch die Polizei agiert vorsichtiger

Viele Polizisten haben ihr Verhalten der neuen Gefahrenlage bereits angepasst. "Wir müssen jetzt schon beim kleinsten Einsatz damit rechnen, dass einer ein Messer zieht", sagt ein Polizist im Streifendienst. "Das heißt, dass wir immer genügend Distanz zu unserem Gegenüber lassen, damit wir im Fall einer plötzlichen Attacke nicht getroffen werden", sagt der Beamte. "Früher waren wir näher dran am Bürger, weil wir keine große Angst haben mussten, selbst zum Opfer zu werden", erklärt er.

Wenn dieses neue Kriminalitätsphänomen nicht in den Griff zu bekommen sei, bestätigt ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, werde sich das Verhalten der Polizei zwangsweise verändern. "Wir wollen aber — anders als in der USA — eine bürgernahe Polizei bleiben, die erst kommuniziert und beruhigend einwirkt, um eine Situation in den Griff zu bekommen", so der GdP-Sprecher.

(csh)
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