Nordrhein-Westfalen Warum die Infrastruktur im Rheinland so desaströs ist

Düsseldorf · Mit Milliardenmitteln aus dem Bundesverkehrswegeplan will NRW seine betagte Infrastruktur endlich auf Vordermann bringen. Doch ein großer Teil des Geldes kann vermutlich gar nicht abgerufen werden: Es fehlt an Personal, um all die Bauprojekte umzusetzen.

Das werden NRWs größte Verkehrs-Projekte
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Foto: US (Archiv)

Sie ist einen Kilometer lang, knapp 40 Meter breit, hat mehr als 50 Jahre auf dem Buckel und ist das in Beton gegossene Symbol dessen, was falsch läuft in der Infrastruktur von NRW: die A1-Rheinbrücke bei Leverkusen. Ihre Risse werden gerade notdürftig geflickt, Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen dürfen sie nicht mehr überqueren, den Stau vor dem Nadelöhr haben viele in ihren Alltag längst zeitlich eingepreist. Der Ersatz wird frühestens 2020 fertig.

Unfassbar eigentlich in einem Bundesland, in dem im vergangenen Jahr nach Angaben des ADAC 172.000 Staukilometer anfielen. Das ist so viel wie nirgendwo sonst in Deutschland. Die angespannte Verkehrslage wird zunehmend zum Problem für die Wirtschaft — für eine Branche aber ganz besonders: die Logistik. Die ist angewiesen auf eine funktionierende Infrastruktur, die mit ausreichend finanziellen Mitteln instand gehalten wird.

"Die Brücke hat viele wachgerüttelt"

Und doch ist es ausgerechnet der Fall der Leverkusener Brücke, dem Rüdiger Ostrowski, Hauptgeschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik NRW, etwas Positives abgewinnen kann: "Das Problem mit der A1-Brücke hat zum Glück viele Menschen in NRW wachgerüttelt. Es musste offenbar ein solches Schlüsselerlebnis her, damit Schluss mit den Fehlplanungen und dem absoluten Staatsversagen ist." Nichts anderes sei das Brückendesaster. "Seit 15 Jahren sind die dortigen Probleme bekannt, und trotzdem ist nichts passiert. Das Geld wurde, zugespitzt gesprochen, lieber in den Radwegausbau gesteckt als in die Brückensanierung", so Ostrowski.

39.400 Brücken an Bundesfernstraßen gibt es in Deutschland, das Gros stammt aus den 60er- und 70er-Jahren. Mehr als 6800 Brücken stehen in NRW, viele gelten als marode. Ob sich die Lage in Leverkusen mit der Fertigstellung schlagartig entspannt, ist ungewiss. Denn die nächsten Probleme drohen bereits: "Wenn die A1-Brücke 2020 fertig sein sollte, muss auch das Kreuz Leverkusen saniert werden", sagt Gregor Berghausen, Hauptgeschäftsführer der IHK Düsseldorf. "Der Stau dort bleibt uns also noch viele Jahre erhalten." Wer sich auf die Suche danach begibt, was in NRW verkehrt läuft, gelangt schnell zu dem Befund, dass es nicht die finanziellen Mittel sind. Verbandsvertreter Ostrowski lobt in diesem Zusammenhang Landesverkehrsminister Michael Groschek: "Die Quote, die er beim Bundesverkehrswegeplan für NRW durchgesetzt hat, nötigt Respekt ab: 19,2 Prozent — das ist deutlich mehr, als wir erwartet hatten."

Geld ist genug da - aber Planungskapazitäten fehlen

Damit lasse sich die Verkehrsinfrastruktur nachhaltig verbessern. "Angesichts von 270 Milliarden Euro in den kommenden Jahren kann nun niemand mehr behaupten, es sei nicht ausreichend Geld für die Instandsetzung und den Neubau der Infrastruktur vorhanden", sagt Ostrowski. "Das sollten sich im Übrigen auch die zahlreichen Bürgermeister und IHKs vergegenwärtigen, die jetzt lautstark beklagen, dass ihre Ortsumgehung oder ihr Radweg nicht als vordringlicher Bedarf im Verkehrswegeplan vorgesehen ist." Tatsächlich aber reicht der Betrag laut IHK-Hauptgeschäftsführer Berghausen nicht aus: "Das Land selbst könnte trotz der angespannten Haushaltslage einen größeren Beitrag leisten und beispielsweise die nötigen Planungskapazitäten garantieren, damit auch alle Gelder abgerufen werden können."

Was Berghausen anspricht, könnte am Ende zum Knackpunkt werden. Schon einmal, im Jahr 2013, bekam Nordrhein-Westfalen umfangreiche Mittel aus dem Bundesverkehrswegeplan in Aussicht gestellt, konnte aber einen dreistelligen Millionenbetrag nicht abrufen. Der Grund: Es mangelte an umsetzbaren Projekten. Der Güterverkehr wächst unaufhaltsam. Trotzdem kommt der dringend nötige Ausbau der Transportwege kaum voran Thomas Puls, Infrastrukturexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, hält es für wahrscheinlich, dass sich die Vorgänge von 2013 wiederholen.

Der Personalmangel ist das Problem

Nicht die Finanzierung, sondern der Personalmangel im Landesbetrieb Straßenbau und in den nachgelagerten Behörden sei das entscheidende Problem, sagt er. NRW habe über ein Jahrzehnt zwischen 1,5 und 1,8 Prozent der Stellen pro Jahr eingespart. "Uns fehlen die Leute, die die Projekte umsetzen könnten." Puls zufolge könnte die Landesregierung — selbst wenn sie wollte — nicht genügend Personal finden. Dank des Baubooms infolge der Niedrigzinsen stünden auf dem Arbeitsmarkt keine Kräfte zur Verfügung. "Wie wollen Sie für 38.000 Euro im Jahr einen Bauingenieur überzeugen, im öffentlichen Dienst anzufangen, wenn er in der freien Wirtschaft viel mehr verdienen kann?", fragt der Experte des IW.

Und es komme noch schlimmer: Weil viele Stellen beim Ausscheiden von Ingenieuren ersatzlos gestrichen wurden, sei der Altersschnitt entsprechend ungünstig. "Bundesweit beträgt die Gruppe der unter 34-Jährigen mit baunahen Ingenieurberufen im öffentlichen Dienst gerade einmal acht Prozent. Dagegen umfasst die Generation 55 plus 27 Prozent. Wenn da die große Pensionierungswelle erst einmal losgeht, nützen die zusätzlichen Mittel aus dem Bundesverkehrswegeplan NRW herzlich wenig", prophezeit Puls. Zumal sich auch die Absolventenzahlen in den Bauingenieursberufen schwach entwickeln. Für die Logistik essenzielle Projekte scheitern jedoch nicht nur an den fehlenden Planungskapazitäten, sondern auch am Widerstand der Bevölkerung und dem fehlenden politischen Willen.

"Der Eiserne Rhein ist faktisch nicht umsetzbar"

Ein Beispiel dafür ist der Eiserne Rhein, die geplante Schienengüterverkehrsstrecke zwischen dem Duisburger Hafen und Antwerpen. Im Bundesverkehrswegeplan sind für die von der Logistikbranche so dringend eingeforderte Strecke die nötigen Mittel nicht vorgesehen. "Das Projekt ist faktisch nach dem jetzigen Stand nicht zu realisieren", sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Berghausen. "Zugleich boomen die belgisch-niederländischen Überseehäfen, und die Güterströme müssen irgendwie transportiert werden." Wenn der Weg über den Eisernen Rhein aber wegfalle, blieben die Straße und die Binnenschifffahrtswege.

NRW ist beim Thema Gewässer reich gesegnet, in erster Linie mit dem Rhein. Der steht nach Angaben von IW-Experte Puls für ein Drittel der Binnenschifffahrt in der Republik. Doch auch Deutschlands größter Strom will gehegt und gepflegt werden. Die Schifffahrtsbranche und insbesondere die Binnenhäfen plädieren seit Langem für eine Rheinvertiefung. Ein Teilstück hat es in den Bundesverkehrswegeplan geschafft. "Es ist gut, dass sie jetzt in einem ersten Abschnitt bei Duisburg erfolgt, in einem zweiten Abschnitt bis Dormagen", sagt Logistikvertreter Ostrowski.

Rheinvertiefung - Umweltverbände stellen sich quer

Allerdings bringen sich schon erste Umweltverbände in Stellung, die in der Vertiefung eine Bedrohung für die Natur sehen. IHK-Vertreter Berghausen verteidigt die Maßnahme: "Das Binnenschiff ist der Transportweg, bei dem der Bürger am wenigsten behelligt wird. Solche Projekte infrage zu stellen gefährdet den Logistik- und Wirtschaftsstandort NRW." Wichtig sei auch, dass die Schleusen instand gesetzt werden. "Da stammen viele noch aus Kaisers Zeiten." Und man müsse aufpassen, dass nicht zu viele Hafenflächen in luxuriösen Wohnraum umgewidmet würden, wie es etwa in Düsseldorf, Köln und Duis burg der Fall war. "Wir geben sonst zu viele Umschlagkapazitäten auf", warnt Ostrowski vom Logistikverband.

Ohnehin ist der Raum für die Ansiedlung neuer Logistikunternehmen arg begrenzt. "Wir müssen in NRW ehrlicher über die Ausweisung der benötigten Flächen reden", fordert deshalb Düsseldorfs IHK-Hauptgeschäftsführer Berghausen. "Es hilft der wachsenden Region Rheinland nicht, wenn die Logistik ausschließlich im Münsterland angesiedelt wird." Denn das Rheinland ist dicht besiedelt, Möglichkeiten, neue Gewerbeflächen auszuweisen gibt es nicht allzu viele.

Das erfordert auch ungewöhnliche Denkansätze: "Die IHK wirbt dafür, in einem Logistikkonzept für das Land auch zum Beispiel die nach der Braunkohleförderung frei werdenden Flächen einzubeziehen", sagt Berghausen. Kein Anwohner will Lkw-Verkehr in der Nachbarschaft. Aber alle wollen frische Erdbeeren, auch außerhalb der Saison Berghausens Idee zur Umwidmung hat Charme, denn viele Bürger reagieren kritisch, sobald es um die Ansiedlung eines neuen Logistikers in ihrer unmittelbaren Nähe geht. Die Sorge ist groß, dass der Lkw-Verkehr in der Ortschaft sprunghaft ansteigt, ein unattraktives Hochregallager das Stadtbild verschandelt und allenfalls niedrig bezahlte Stellen geschaffen werden.

Bürgerwiderstände gegen Großprojekte

Berghausen verlangt in der Debatte um solche Neuansiedlungen mehr Weitsicht: "Der Bürger will zwar außerhalb der Saison frische Erdbeeren im Supermarktregal haben, wenn die vielen Lkw dafür aber durch die Gemeinden rollen, ist der Aufschrei groß." Natürlich seien die Zeiten vorbei, in denen der Planungsdezernent erst einmal mit Investoren über den Bau eines Hochregallagers verhandele und die Bürger dann vor vollendete Tatsachen stelle. "Die Menschen müssen früh erfahren, was auf sie zukommt. Die Unternehmen müssen aber auch klar benennen, welche Nachteile entstehen, wenn wichtige Projekte nicht realisiert werden können", sagt der IHK-Hauptgeschäftsführer.

Angesprochen auf den Widerstand aus der Bevölkerung gegen Großprojekte bemüht Logistiker Ostrowski noch einmal die A1-Brücke bei Leverkusen. Dort gebe es 13 Bürgerinitiativen, die den Bau behindern oder gar stoppen wollen. "So befördert man mit zum Teil abwegigen Forderungen den Verkehrskollaps eines ganzen Landes." Seine Forderung ist sogar noch radikaler: Der Staat müsse in diesem Fall auch die Bürgerrechte einschränken. "Unser Verband hat deshalb schon einmal vorgeschlagen, lebenswichtige Infrastruktur mit einer Art 'Notstandsverordnung‘ durchzusetzen, wenn dies rechtlich machbar wäre."

Ob sich ein solch radikaler Vorschlag durchsetzt, ist fraglich. Den Verantwortlichen bleiben also nur Argumente: etwa das Arbeitskräftepotenzial der Branche. Dieses betrage Schätzungen zufolge bis zu 60 000 Stellen, sagt Berghausen. "Zwar sind die Berufsanforderungen in den vergangenen Jahren gestiegen." Der klassische Lagerarbeiter weiche zunehmend Arbeitskräften, die IT-Fähigkeiten besitzen müssten. Dennoch sei der Einstieg in den Job niedrigschwellig. "Wenn wir Langzeitarbeitslose zurück in den Job bringen wollen, dann wäre die Logistik ein guter Startpunkt", sagt er.

(RP)
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