Neriman Yaman Mein Sohn, der Salafist

Essen · Der 16-jährige Sohn von Neriman Yaman soll einen religiös motivierten Bombenanschlag in Essen verübt haben. In einem Buch erzählt die Mutter die Geschichte seiner islamistischen Radikalisierung.

 Neriman Yaman hat ein Buch über ihren Sohn geschrieben.

Neriman Yaman hat ein Buch über ihren Sohn geschrieben.

Foto: dpa, a mhe fpt

In ihrer eigenen Jugend lief Neriman Yaman mit zerrissenen Jeans und Lederjacke durch das Ruhrgebiet. Sie hörte Rock'n'Roll und genoss die Freiheiten, die ihre Familie hatte, nachdem diese aus Anatolien nach Deutschland gekommen war. Fundamentalismus? Das war ihrer Familie fremd. Bis sich ihr Sohn Yusuf islamistisch radikalisiert hat. Bis der 16-Jährige im April dieses Jahres einen Sprengstoffanschlag auf einen Sikh-Timpel in Essen verübt und drei Menschen verletzt haben soll. In ihrem Buch "Mein Sohn, der Salafist" erzählt die heute 37-Jährige von ihrem hilflosen Kampf gegen die Radikalisierung. Sie versucht, eine Antwort zu finden, wie aus einem intelligenten, in Deutschland aufgewachsenen Jungen ein Bombenleger werden konnte. Und sie versucht, Institutionen aufzurütteln, um der Rekrutierung von Terroristen-Nachwuchs wirksamer zu begegnen. "Irgendwas muss man da machen. Da müssen Spezialisten ran. Heute ist es Yusuf, morgen ein anderer", warnt sie.

Gangster-Rap und Wasserpfeife

Unbemerkt blieb Yusufs Veränderung für die Mutter nicht: Lange Zeit spielte Religion für ihn gar keine Rolle. Stattdessen hörte ihr Sohn mit 14 Jahren lieber Gangster-Rap und rauchte Wasserpfeife. In der Schule gab es immer wieder Probleme. Und doch: Auch wenn sein Verhalten sie manchmal zur Verzweiflung trieb, miteinander geredet haben Mutter und Sohn noch immer, berichtet die Muslimin in ihrem Buch. Erzählt hat Yusuf ihr auch von einem Ereignis, das er als eine Art "Erweckung" darstellte: Eines Tages sei er beim Rauchen umgekippt und dachte, nun sterben zu müssen. Er habe deshalb zu Allah gebetet und versprochen, ein besserer und gläubiger Mensch zu werden.

Die ersten Veränderungen nahm die Mutter noch wohlwollend auf: Yusuf hörte auf zu rauchen und begann, sich für den Islam zu interessierten. Auch als der damals 14-Jährige anfing, sich Videos von Pierre Vogel anzuschauen, sah die Mutter aus Gelsenkirchen vorerst keine Gefahr. Zuvor wurde der Islam nicht auf Deutsch gepredigt, berichtet sie. In Moscheen gab es stets Predigten auf Türkisch, was die Kinder nicht so gut verstanden. Doch dann schritt Yusufs Radikalisierung voran: Er verteilte den Koran am salafistischen "Lies!"-Stand, brach den Kontakt zu Freunden ab, wollte im muslimischen Gewand zur Schule gehen. Nachdem Yusuf einer jüdischen Mitschülerin gedroht hat, ihr das Genick zu brechen, wurde er für zehn Wochen von der Schule verwiesen. Zehn Wochen, in denen Yusuf endgültig in die Hände der Dschihadisten fiel. In dieser Zeit ließ er sich mit einer radikalen Muslimin verheiraten, sprach mit seiner Mutter nur noch in Koranversen.

Suche nach Hilfe

Yaman suchte verzweifelt nach Hilfe. Sie fragte bei Moscheen, Psychologen und Behörden an. Antworten von "das ist nur eine pubertäre Phase" bis zu "Allah wird schon helfen" bekam sie viele, echte Unterstützung aber kaum. Nur das Aussteiger-Projekt "Wegweiser" kümmerte sich mit Sozialarbeitern intensiver um Yusuf. Yaman selbst begann ein psychologisches Training, um ihrem Sohn wieder näherzukommen. Vergeblich. Wenige Monate später rief der Jugendliche seine Mutter in sein Zimmer: "Ich habe ganz, ganz großen Mist gemacht", sagte er und zeigte ihr auf seinem Handy die Nachricht über den Anschlag auf den Sikh-Tempel.

Heute sitzt Yusuf in Untersuchungshaft. Seine Mutter konnte ihn überzeugen, sich selbst zu stellen. Im Dezember muss er sich zusammen mit dem mutmaßlichen, ebenfalls minderjährigen Mittäter Mohammed B. wegen versuchten Mordes und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vor Gericht verantworten. Wie es soweit kommen konnte, können heute weder seine Mutter noch Yusuf beantworten. "Gehirnwäsche", nennt es die 37-Jährige und ist überzeugt, dass es ihrem Sohn leidtut. "Die, die dahinterstecken, haben Intelligenz und Macht. Das ist wie eine Art Hypnose", sagt sie. Entschuldigen wolle sie damit Yusufs Tat nicht, "doch andere Familien sollen künftig bessere Unterstützung erhalten".

(beaw)
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