Referendum in der Türkei "Ich möchte keinen Streit wegen meiner politischen Haltung"

Düsseldorf · Das türkische Referendum ist entschieden, vor allem in Deutschland haben viele Türken für eine Verfassungsänderung gestimmt. Über ihre Entscheidung sprechen wollen nur wenige - sie fürchten Streit und Ablehnung. Wie Erdogans Politik sogar Familien entzweit.

Einfach nicht darüber sprechen, damit man nicht streiten muss: So ging es dem 32-jährigen Mustafa Ökcan (Name geändert) aus Krefeld vor dem Referendum, und so geht es ihm auch danach. Am vergangenen Sonntag hat die Türkei über eine Verfassungsänderung abgestimmt. Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will mit dem Verfassungsentwurf künftig noch mehr Macht beim Präsidenten bündeln.

Auch 1,4 Millionen Deutsch-Türken waren am Sonntag stimmberechtigt. Knapp die Hälfte von ihnen hat gewählt. 63 Prozent der Wähler haben mit "Ja" gestimmt. In Essen, Düsseldorf und Köln gab es deutlich mehr "Ja"- als "Nein"-Stimmen.

Mustafa Ökcan kennt viele in seinem Umfeld, die Erdogans Verfassungsänderung befürworten. Sein Bruder und seine Mutter zum Beispiel unterstützen Erdogan. Sein Bruder sagt, Erdogan habe der Türkei wieder eine Stimme gegeben. Das neue türkische Selbstbewusstsein gefalle dem Bruder, erzählt Ökcan.

Nach dem Referendum in der Türkei : Stimmen und Sorgen der Deutschtürken
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Nach dem Referendum: Das sagen Deutschtürken

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Foto: Uwe Heldens

Er selbst ist gegen die Verfassungsänderung. Ökcan findet es fragwürdig, dass Erdogan künftig so viel Einfluss auf das Rechtssystem in der Türkei hat. Auch unter seinen Freunden sind viele, die für die Verfassungsänderung sind. "Ich möchte da am liebsten nicht drüber diskutieren", sagt Ökcan. Der 32-Jährige arbeitet als Unternehmensberater. "Meine Krefelder Freunde respektieren meine Haltung zum Glück. Ich möchte keinen Streit deswegen."

"Die Dämonisierung von Menschen, die mit Nein abgestimmt haben, hat Ausmaße erreicht, die die Spaltung der türkischen Gesellschaft vorantreibt", sagt Eren Güvencin. Der freischaffende Journalist kennt sowohl "Ja"- als auch "Nein"-Wähler. "Auf Dauer ist es für eine Gesellschaft nie gesund, wenn die Religion, der Nationalismus oder bereits verstorbene politische Leitfiguren schamlos dafür instrumentalisiert werden, die Bevölkerung unter enormen psychischem Druck zu setzen und Ängste zu schüren."

Es gibt nicht viele Türkischstämmige, die über ihr Wahlverhalten offen sprechen möchten. Der 26-jährige Mohammed lebt in der Eifel. Die politische Situation in der Türkei hat seine Hochzeit verhindert. Mohammed ist in Deutschland geboren, er lebt hier mit seinen Eltern und seinem Großvater. Er hat in dem Referendum mit "Nein" gestimmt. Weil er Angst hat, dass sein türkischer Familienteil ihn wiedererkennt, möchte er seinen vollen Namen nicht veröffentlicht sehen.

Proteste in der Türkei gegen Staatschef Erdogan
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Proteste in der Türkei nach dem Referendum

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Foto: rtr, MS/ys

Mohammed war mit einer Türkin verlobt

Sein Großvater und sein Vater unterstützen auch das "Nein"-Lager. Nur sein älterer Bruder und dessen Frau sind für die Verfassungsänderung. Die Tanten, Onkel und Cousins in der Türkei unterstützen Erdogan und gehören zu den Hardlinern, erzählt Mohammed. Seine Familie kommt aus einem Dorf im Nordosten der Türkei. Bis vor Kurzem war Mohammed mit einem Mädchen von dort verlobt. "Wir wollten heiraten", sagt er. "Unsere Familien haben sich verstanden. Alles war super."

Doch dann passierte im vergangenen Jahr der Putsch. Mohammed findet es nicht richtig, was seither in der Türkei passiert ist. Er kritisiert die Verfolgung der Gülen-Anhänger als "Verräter" und "Terroristen". Auch er kennt die Schriften Gülens. Doch seine Ablehnung von Erdogans Politik hat nicht viel damit zu tun, sagt er. Irgendwann postet Mohammed auf Facebook einen kritischen Beitrag über die Verfolgung der Gülen-Anhänger.

Das sieht einer seiner Cousins in der Türkei und informiert die Familie des Mädchens. "Er hat mir gedroht, wenn ich in die Türkei käme, würde er mich an die Behörden verraten", erzählt Mohammed. Die Eltern des Mädchens lösen nach diesem Vorfall die Verlobung, obwohl sie selbst keine großen Erdogan-Unterstützer seien. "Meiner Verlobten war es sowieso egal. Sie wollte weiter mit mir zusammen sein."

Der deutsche und der türkische Familienteil sprechen mittlerweile nicht mehr miteinander. Auch die Besuche in den Sommerferien bleiben aus. "Wir können dort nun nicht mehr hin", sagt Mohammed. "Deutschland ist mein erstes Heimatland, ich gehöre zu Deutschland. Aber ich liebe auch die Türkei und ich bin traurig, dass wir so entzweit sind."

(heif)
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