Kriminologe über "Osmanen Germania" "Uns droht kein Rockerkrieg"

Essen · Der Boxclub "Osmanen Germania" hat in wenigen Monaten bundesweit 20 Charter gegründet. Die Polizei fürchtet, dass der Club mit den "Hells Angels" oder den "Bandidos" aneinander geraten könnte. Anders sieht das der Kriminologe Florian Albrecht. Er spricht von einer Überreaktion der Polizei.

"Osmanen Germania": Rocker gründen Chapter in NRW
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Das ist die Rockergruppe "Osmanen Germania"

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Foto: Dieter Staniek

Bei einer Razzia gegen den Club "Osmanen Germania" hat die Polizei am Montag sieben Personen vorläufig festgenommen. In mehreren NRW-Städten durchsuchten Spezialeinsatzkommandos Häuser und Wohnungen. Ziel war es, Beweise in einem Ermittlungsverfahren zu sichern. Details gab die Behörde noch nicht bekannt.

Die "Osmanen Germania" sind laut Landeskriminalamt NRW vor einem Jahr in Hessen aus einem Streit innerhalb der "Hells Angels" hervorgegangen. Auch deshalb wird befürchtet, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen kommen könnte. Vom einem Rockerkrieg zu sprechen sei aber überzogen, sagt Florian Albrecht. Der Rechtsanwalt und Kriminologe forscht seit vielen Jahren zu Fragen der inneren Sicherheit.

Herr Albrecht, welchen Stellenwert haben die "Osmanen Germania" innerhalb der Rockerszene?

Albrecht Darüber habe ich mit Angehörigen der Rockerszene gesprochen, unter anderem einem hochrangigen Mitglied der ,Hells Angels'. Der Verein ,Osmanen Germania' wird von den Rockern nicht als Konkurrent oder Herausforderer angesehen. Dafür sind Boxclubs und Motorradclubs zu unterschiedlich.

Worauf bezieht sich das?

Albrecht Boxclubs und Motorradclubs haben grundlegend unterschiedliche Ziele. Die verschiedenen Vereine stehen mithin für eigenständige Betätigungsfelder.

Die Polizei aber fürchtet, dass sich die Rockerclubs und der Boxclub geschäftlich in die Quere kommen könnten — Stichwort Rockerkrieg.

Albrecht Die Polizei hat ein eigenes Interesse daran, die Gefahren überzubewerten, die durch Rocker verursacht werden. Mit dem Schlagwort Rockerkrieg erlangt man öffentliche Aufmerksamkeit und kann den Bürgern Handlungsfähigkeit vortäuschen. Dafür muss man aber auch ein gewisses Verständnis haben. Einerseits gibt es kaum noch Betätigungsfelder, auf denen die Polizei größere Erfolge nachweisen kann und andererseits wäre man schnell mit Vorwürfen bei der Hand, wenn in der Rockerszene dann doch etwas passiert.

Sie sehen da also keine Gefahr?

Albrecht Ich kann das nur schwer bewerten, weil ich die in den Boxclubs aktiven Personen nicht kenne. Von Kriminellen kann freilich eine Gefahr ausgehen. Hinsichtlich des Generalverdachts, unter den die Angehörigen von Motorrad- oder Boxclubs gestellt werden, muss man sich aber fragen, in welchen Kriminalitätsbereichen welche Gruppierung tätig ist und wo. Mir liegen beispielsweise keine Nachweise vor, wonach die gesamte Rockerszene der organisierten Kriminalität zugerechnet werden könnte. Dieser Beweis wurde auch in den zahlreichen Verbotsverfahren der vergangenen Jahre nicht geführt. Die bloße Behauptung ist nichts anderes als Diskriminierung.

Aber dass es kriminelle Machenschaften gibt, ist bekannt.

Albrecht Es gab in der Szene unzweifelhaft schwere Verbrechen, die bis hin zu Mord reichen. Von einem Rockerkrieg, in den dann auch die Osmanen Germania verwickelt werden könnte, würde ich aber nicht sprechen. Die bekannt gewordenen Straftaten beruhen oftmals eher auf lokal begrenzten Auseinandersetzungen, bei denen gewaltbereite Personen aneinandergeraten und ihr Revier markieren. Es ist keineswegs so, dass sich überregionale Zusammenschlüsse bilden, die dann gegeneinander vorgehen und Krieg führen.

Sind Ihrer Meinung nach also Auseinandersetzungen zwischen Osmanen Germania und Rockern ausgeschlossen?

Albrecht Ausgeschlossen ist das nicht. Ich meine aber, dass die Polizei gerne voreilige Schlussfolgerungen zieht und damit eigene Interessen verfolgt. Fragen Sie doch einmal nach Nachweisen und Belegen. Da wird man sich sehr verschlossen zeigen. Selbst wenn es zu Gewalttaten kommen sollte, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Dann muss geprüft werden, ob es sich um die Taten Einzelner handelt oder oder der jeweilige Verein dahinter steht.

Florian Albrecht (38) ist Kriminologe und Rechtsanwalt. Er befasst sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen Rockerkriminalität und hat zahlreiche Fachbeiträge zu dem Thema veröffentlicht.

(jnar)
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