Aachen/Düsseldorf 10.000.000 Jodtabletten für Ernstfall

Aachen/Düsseldorf · Im Fall eines Atom-Unfalls greift in NRW ein Katastrophenschutzplan. Größte Gefahr geht von Meilern in Belgien und Niedersachsen aus. Kinder und Schwangere sind die Ersten, die die schützenden Jodtabletten bekommen.

Im Ernstfall gelten erst einmal einfache Regeln: nach Hause fahren, geschlossene Räume aufsuchen, Fenster und Türen schließen. Klimaanlage ausschalten. Straßenschuhe ausziehen, wenn man ein Gebäude betritt, in dem man Schutz vor der Strahlung sucht. Wer sich draußen aufhält, soll sich eine Atemschutzmaske aufsetzen. Und so schnell wie möglich Jodtabletten nehmen. Viel hat sich an den Verhaltenstipps für den Fall einer nuklearen Katastrophe seit den 50er Jahren nicht geändert.

In Aachen beschäftigt man sich seit Wochen ausführlich damit, was zu tun ist, sollte es im 60 Kilometer entfernten Atomkraftwerk (AKW) im belgischen Tihange bei Lüttich zu einem Gau kommen, dem größten anzunehmenden Unfall. Denn eine Nuklearwolke könnte von dort aus schon in drei Stunden in Aachen sein - und dann weiter ziehen ins Rheinland. Betroffen sein könnten auch Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet. Nun hat die Städteregion Aachen vor dem belgischen Staatsrat Klage gegen den Weiterbetrieb des Reaktorblocks 2 im Atomkraftwerk Tihange eingereicht.

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Foto: centertv

Auch deutsche Meiler

Nicht nur von belgischen Reaktoren (Tihange und Doel), sondern auch von mindestens zwei deutschen Meilern geht für Nordrhein-Westfalen eine Gefahr aus - wenn auch nur eine theoretische, weil diese als wesentlich sicherer gelten als die in Belgien. An der Grenze zu Niedersachsen stehen die Kernkraftwerke Emsland und Grohnde. Was passiert im Ernstfall?

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In NRW setzt ein Katastrophenschutzplan ein. Die offizielle Alarmkette beginnt am Unglücksort. Sollte es in Belgien zu einem Gau kommen, informiert die betroffene Betreiberfirma des AKW zunächst die belgischen Regierungsstellen, die dann mit Berlin und Düsseldorf telefonieren. Die NRW-Landesregierung setzt sich dann mit den verantwortlichen Bürgermeistern und Landräten in der deutsch-belgischen Grenzregion in Verbindung.

Radio, Fernsehen, Internet, Sirenen

Inoffizielle Kanäle gehen aber nicht den Umweg über Berlin und Düsseldorf, sondern melden den Störfall sofort an die Städte, die betroffen sein könnten. Die Landesregierung setzt einen Krisenstab ein mit Katastrophenschützern, Medizinern, Polizisten, Experten des Innenministeriums und Feuerwehren. Sie entscheiden, welche Sofortmaßnahmen getroffen werden. Die Bevölkerung wird sofort über die Gefahr informiert - mittels Lautsprecherdurchsagen, durch Radio, Fernsehen, Internet und Sirenen. "Eine Panik muss unbedingt vermieden werden", sagt ein Sprecher des Innenministeriums.

Der Krisenstab greift im Notfall auf sogenannte Einsatzeinheiten zurück, von denen es landesweit 241 gibt. Diese Einheiten tragen in den ersten Stunden der Katastrophe die Hauptlast. Sie schützen die Bevölkerung vor radioaktiven, chemischen und biologischen Stoffen. Die Truppe besteht aus mehr als 20.000 gut ausgebildeten, ehrenamtlichen Helfern von Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter Unfallhilfe, Malteser Hilfsdienst und DLRG, die in kürzester Zeit zusammengezogen werden können. Gerätschaften zur Entgiftung, Betten, Verbandszeug, Medikamente sind an strategischen Standorten auf mehrere Depots in NRW verteilt. Dazu gehören auch mobile Dekontaminationscontainer zur Entgiftung von Einsatzkräften und Bürgern. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und andere Retter tranportieren diese Gegenstände dann in die betroffenen Gegenden.

Die Lehren aus der Notfallübung

In den Depots lagern auch Teile der landeseigenen Jodtablettenreserve, etwa zehn Millionen Stück. Sie werden nach Angaben des NRW-Innenministeriums an Kinder und Jugendliche bereits bei geringer Strahlung ausgegeben, Erwachsene müssen länger warten. Die Tabletten schützen vor Schilddrüsenkrebs. "Die Einnahme sollte mindestens drei Stunden vor dem Einatmen der radioaktiven Partikel erfolgen. Bei späterer Einnahme wäre die Wirkung erheblich vermindert", erklärt ein Sprecher des Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie.

In Aachen waren die Tabletten bis vor Kurzem an der Hochschule deponiert. Ein Fehler, wie eine Notfallübung vor wenigen Wochen zeigte. Es stellte sich dabei heraus, dass die Verteilung zu lange dauern würde, weil die Universität zu weit außerhalb liegt. Nun sollen die Tabletten dezentral in Kindergärten, Schulen und in öffentlichen Gebäuden gelagert werden. Eine weitere Erkenntnis der Übung war, dass die meisten Bürger nicht einmal über die grundlegendsten zu treffenden Schutzmaßnahmen, wie Fenster und Türen zu schließen, Bescheid wussten.

(csh)
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