"Musik macht uns frei" Flüchtlinge rappen ihre Geschichte

Kamen · Mit dem Gefühl "ich bin hier noch fremd" kämpft fast jeder Flüchtling. Aber hin und wieder kommt es gar nicht erst auf. Kanté (23) und Adam (28) haben das unter Musikern so erlebt. Ein Treffen mit zwei Flüchtlingen, die gegen das Nichtstun-Müssen rappen.

 Die beiden Flüchtlinge Kanté Mamadou (l.) und Adam Djibo rappen im Jugendkulturcafé (JKC) in Kamen.

Die beiden Flüchtlinge Kanté Mamadou (l.) und Adam Djibo rappen im Jugendkulturcafé (JKC) in Kamen.

Foto: dpa, bt lre

"Mama, du bist alles für mich!", rappen die beiden Männer auf der Bühne. Doch peinlich findet das von den Teenagern im Kamener Jugendkulturcafé (JKC) offenbar keiner. Adam Djibo (28) und Kanté Mamadou (23) haben ihre Mamas lange nicht gesehen, der asylberechtigte Adam aus Niger seit acht Jahren und Asylbewerber Kanté, seit er Anfang des Jahres aus Guinea nach Deutschland floh.

Doch hier haben die Freunde, die sich in Kantés Flüchtlingsheim kennenlernten und sich heute "Brüder" nennen, Plattform und Publikum für ihre Musik gefunden. Für Kanté, dem seit einiger Zeit in der beengten Unterkunft die Decke auf den Kopf fällt, bedeutet das Musizieren vor allem: etwas zu tun.

Er habe eines Tages bei einer Tour zum Fußballplatz von irgendwoher Musik gehört. Der Hobbyjazzer und Schulsozialarbeiter Michael Lowey übte gerade im Proberaum und lud den Neuankömmling an die Percussions ein, als es mit Worten nicht weiterging. Kurze Zeit später trommelte Kanté in Loweys Jazzband, Ende September treten sie wieder auf. "Er hat mir wieder den Mut gegeben, überhaupt etwas zu tun", sagt Kanté über Lowey.

Lowey war es auch, der Kanté und Adam ins JKC mitnahm, von dort aus vermittelte Sozialarbeiter Ferit Altas die beiden nach kurzem Umhören unbürokratisch an die Jugendfreizeitstätte in Dortmund-Schüren. Das Ergebnis: zwei erste Tracks, geschrieben von Kanté, die die beiden am vergangenen Wochenende vor rund 60 Zuhörern im JKC darboten.

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"Was die Musik uns gibt? Sie macht uns frei!", sagt Adam. Die Tracks erzählen aber nicht in erster Linie Flüchtlingsrealitäten. "Eine Frau hat mir mal gesagt, dass sie ihre Mutter seit zehn Jahren nicht gesehen hat", erklärt Adam. Erst wunderte er sich, dann entstand der Rap "Mama". Adam beobachtet gern in Kamen, wo man gerade bemüht ist die Flüchtlingshilfen mit einer neuen Freiwilligenagentur zu bündeln. Die Menschen dort nennt er "unbezahlbar, weil sie dich annehmen, wie du bist".

Dennoch hält er seiner Aufnahmegesellschaft auch ein unangenehmes Spiegelbild entgegen. Der Staat lasse "die Flüchtlinge in ihren Unterkünften schlafen, man zahlt ihnen dreihundertnochwas Euro", anstatt sie arbeiten und Steuern zahlen zu lassen. Dabei wollten viele Flüchtlinge vor allem nach vorne schauen und die Bilder der persönlichen Flucht vergessen.

Die beiden sind übrigens nicht die einzigen Flüchtlinge, die es ins Kamener JKC verschlägt. An einem Donnerstagnachmittag sind unter dem Dutzend Anwesenden fünf Geflüchtete, auch zwei Jungs aus Rumänien, ein Stammgast bringt einen Ghanaer mit, der seit drei Wochen in Deutschland ist. Wer sich als Flüchtling nicht wie Adam zum Lernen der Sprache an die Straße stellt und den Gesprächen der Passanten genau zuhört, hat im JKC gute Chancen auf Anschluss. Musik läuft, man redet, spielt Billard und Tischtennis oder trinkt Kaffee.

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Leiter Ferit Altas sieht zufrieden dabei zu, wie hier offenbar irgendetwas richtig läuft. Er spricht oft in beruhigend-geordnetem Streetworker-Vokabular. Doch als er über die Musikerszene spricht, die allmonatlich in seinem JKC zusammenkommt, wirkt er fast gerührt: "Was soll man da noch, außer Freude empfinden?" Auch für Altas' Mitarbeiter Michel Wegmann ist "die Musik als Medium der Integration fantastisch".

Adam und Kanté äußern sich noch vorsichtig zu ihren musikalischen Plänen und Erwartungen. Die beiden Westafrikaner wollen "einen Traum verwirklichen", sagt Adam. Aber erst mal schreiben sie einen dritten Song. Das Tonstudio der Schürener Jugendfreizeitstätte steht ihnen weiterhin offen.

(lnw)
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