Germanwings-Tragödie Erstes Weihnachten nach dem Absturz

Düsseldorf · Am 24. März zerschellte eine Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Die Angehörigen kamen jetzt zusammen, um sich auf die schwierigen Feiertage vorzubereiten - eine Familie aus NRW erzählt von ihren Gefühlen.

 An die 150 Toten der Katastrophe am 24. März erinnert dieser Gedenkstein in Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. Am einjährigen Gedenktag des Absturzes werden wohl viele Angehörige erneut zum Absturzort reisen - eine Gedenkzeremonie planen sie gemeinsam mit den Behörden.

An die 150 Toten der Katastrophe am 24. März erinnert dieser Gedenkstein in Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. Am einjährigen Gedenktag des Absturzes werden wohl viele Angehörige erneut zum Absturzort reisen - eine Gedenkzeremonie planen sie gemeinsam mit den Behörden.

Foto: dpa

Es hätte ein perfekter Tag sein können: Am 24. März nahm Muradiye Lohmann (geb. Celik) an einem Termin ihres Arbeitgebers Henkel in Barcelona teil - danach wusste die 38-Jährige, dass es für sie in dem Konzern vorangeht. Direkt nach der Landung in Düsseldorf wollte die Chemietechnikerin zur Hochzeit einer Freundin weiterfliegen. Es kam anders: Germanwings-Flug 4U 9525 wurde vom Co-Piloten zum Absturz gebracht. 150 Menschen kamen ums Leben. Viele hundert Kinder, Eltern, Geschwister und Ehepartner müssen mit ihrer Trauer leben. "Gerade jetzt zum Fest merken wir besonders, wie sehr uns Muradiye fehlt", sagt ihre fast gleichalte Schwester Emine Celik, "am liebsten würden wir uns ja verstecken und die Feiertage und Silvester verschlafen." Nun wird unter den sechs Geschwistern überlegt, ob sie wie immer zusammenkommen - aber die Entscheidung fällt schwer: "Wie die konkrete Planung für Weihnachten aussieht, wissen wir nicht. Wir schieben das vor uns her", sagt Emine Celik.

 Muradiye Lohmann (geb. Celik) arbeitete bei Henkel.

Muradiye Lohmann (geb. Celik) arbeitete bei Henkel.

Foto: Celik

Auch neun Monate nach dem Absturz sind die Wunden noch tief. Uwe Rieske, Landespfarrer für Notfallseelsorge, hatte kürzlich zu einem der regelmäßig stattfindenden Treffen der Familien eingeladen, auch um sich auf die Feiertage vorzubereiten. Jeder bekam einen Tannenzweig. Rieske schilderte, dass die Getöteten ähnlich sichtbar in ihren Familien fehlen wie Zweige in einem Tannenbaum. "Das hat uns Kraft gegeben", sagt einer der Gäste, "so wie es uns hilft, dass die Angehörigen einen engen Draht zueinander fanden."

So versucht auch Familie Celik den Verlust zu verarbeiten. Beinahe jeden Tag gehen Geschwister zum geschmückten Grab, auch einige Kinder der erwachsenen Brüder und Schwestern kommen oft mit. "Sie bleibt immer in unserem Herzen, für ihre Nichten und Neffen war sie nicht nur die liebe Tante, sondern auch eine Vertrauensperson", sagt Emine Celik.

Bei einem Besuch zeigt Celik ihren Erinnerungsplatz im Wohnzimmer: Von zwölf gerahmten Fotos lächelt eine tatenlustige, junge Frau. Eine Urkunde bestätigt, dass ein Stern nach Muradiye benannt wurde. Zwei Kerzen stehen zwischen den Fotos, daneben zwei Porzellan-engel, einige Steine von der Absturzstelle. Hinzu kommt ein kleiner Holzengel, den die Angehörigen beim Gedenkgottesdienst im Kölner Dom am 17. April erhielten.

Wie sehr die Angehörigen sich einander verbunden fühlen, zeigen viele Beispiele. Sie haben eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der sie über Smartphones Kurznachrichten austauschen oder sich verabreden. Als Pfarrer Rieske zum deutschlandweiten Treffen eingeladen hatte, kamen auch Familien aus Haltern. Sie hatten am 16. Juni den Rücktransport der sterblichen Überreste ihrer Kinder in einem Konvoi weißer Leichenwagen organisiert.

In Düsseldorf treffen sich manchmal einige Angehörige nur zum Abendessen in einem Restaurant. "Gelegentlich reden wir bei diesen Treffen fast gar nicht", heißt es, "aber wir wissen, was uns verbindet." Dagegen halten sich manche Angehörige von anderen Menschen etwas zurück: "Viele Menschen wollen den Hinterbliebenen sicher helfen", sagt der Mönchengladbacher Anwalt Christof Wellens, "aber das wahre Ausmaß der Trauer können Außenstehende nur schwer begreifen."

Die Familien gehen mit den Feiertagen verschieden um. Manche Eltern, die Kinder haben, versuchen Weihnachten halbwegs normal zu begehen, damit die Kinder nicht zu sehr belastet werden. Viele fahren weg, einige treffen sich. Es gibt zwei alleinstehende Mütter, deren Kinder als junge Erwachsene bei der Katastrophe ums Leben kamen - andere Angehörige sagen, dass sie mit ihnen Kontakt halten wollen.

Anderen helfen, um auch sich selbst zu helfen - so lautet die Reaktion vieler Hinterbliebenen auf die Katastrophe. So haben Eltern aus Haltern die "Elena-Bleß-Stiftung" gegründet, die in Gedenken an ihre Tochter Auslandsaufenthalte finanziert. Eine Familie rief in Dresden ein Stipendium für junge Schmuckkünstler ins Leben.

Familie Celik gründete den Verein "Muradiye - Kinder sollen lachen". Er soll Kindern und Jugendlichen in schwierigen Verhältnissen helfen. "Unsere Schwester hat immer einen Teil ihres Geldes an soziale Projekte gespendet", sagt Emine Celik. "Ihr Traum war es, eine Schule bauen zu lassen, wo Kinder aus sozial schwachen Familien auch die Möglichkeit haben, diese Schule zu besuchen."

Mit eigenem Geld, dem Erbe der Verunglückten und den Entschädigungen der Lufthansa will die Familie eine Schule in Asien aufbauen lassen. Sechs junge Leute erhielten ein kleines Stipendium. Bei der Ausstattung eines Spielzimmers für Kinder mit Leukämie überwies die Familie Geld. Dabei zahlten auch die Jüngsten in die Kasse ein. "Wir halten zusammen", sagt Emine Celik, "wir haben viele helfende Hände, die uns unterstützen."

So sehr die Angehörigen versuchen, trotz der Trauer nach vorne zu schauen, so sehr standen sie lange Zeit unter Schock. Als die Geschwister nach dem Absturz längerfristig krankgeschrieben wurden, wurden zwei entlassen - zum Glück fanden sie wieder eine Stelle.

Viele Familien erlebten es als regelrecht traumatisch, als lange nicht klar war, wann die sterblichen Überreste der Toten nun wirklich nach Deutschland kommen. Die Gedenkfeier für Muradiye hat ihre Schwester umso positiver in Erinnerung: "Sehr viele Kollegen unserer Schwester waren aus dem Ausland gekommen. Ihr Chef hielt eine lange Rede - es war sehr bewegend, sie hatte einen vorbildlichen Arbeitgeber," sagt Emine Celik.

Am 24. März werden sich viele Angehörigen an der Gedenkstätte in Südfrankreich sehen - die Familien aus Deutschland, Frankreich und Spanien tauschen sich aus, wie die Zeremonie gestaltet werden soll.

Am Flughafen Barcelona soll dann auch eine kleine Gedenkstätte eröffnet werden - der Flughafen Düsseldorf plant etwas Ähnliches auf Vorschlag der Angehörigen.

Über die Höhe des Schmerzensgeldes will Frau Celik nicht sprechen. "Das Thema gehört definitiv nicht zu den Feiertagen", sagt sie.

Für den Todespiloten Andreas Lubitz hat die Familie nur Verachtung übrig. "Er ist ein Massenmörder", sagt Emine Celik. Seinen Namen nimmt die Familie nicht in den Mund. Allerdings drängen die Angehörigen darauf, dass die Justiz weiter prüft, wer für die Katastrophe verantwortlich war. "Der Co-Pilot war dienstunfähig und oft krank, warum hat da keiner nachgehakt?", fragt Celik. "Warum konnte der dienstunfähige Co-Pilot alleine fliegen? Da muss die Justiz die Verantwortungen klären." Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft erklärt dazu, dass die Ermittlungen in Deutschland und Frankreich noch nicht abgeschlossen sind.

(RP)
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