Sexuelle Aufklärung Dieser Kölner gibt Flirtkurse für Flüchtlinge

Düsseldorf/Köln · Der Kölner Flirtcoach Horst Wenzel bringt Flüchtlingen alles über Romantik und Liebe bei. Lernen Migranten bei ihm etwa, wie man deutsche Frauen aufreißt? Keineswegs, sagt Wenzel - und berichtet von kulturellen Missverständnissen junger Araber in Deutschland.

 Horst Wenzel arbeitet seit fünf Jahren als Flirtcoach und ist Geschäftsführer der Kölner "Flirtuniversity".

Horst Wenzel arbeitet seit fünf Jahren als Flirtcoach und ist Geschäftsführer der Kölner "Flirtuniversity".

Foto: Flirtuniversity

Ein Chat ist noch keine Beziehung, und ein Herzchen-Emoji kein Liebesgeständnis — das sind Erkenntnisse, die einige Teilnehmer von Horst Wenzels Kursen haben. Der Kölner Flirtcoach bietet seit einiger Zeit unentgeltlich Kurse für Migranten an — in Schulen, in Kirchengemeinden, in Flüchtlingsunterkünften. Das Interesse ist groß bei dem Thema, merkt Wenzel. Meistens kommen andere Ehrenamtliche oder soziale Träger auf ihn zu und fragen ihn, ob er bei ihnen einen Kurs anbieten könnte. "Es geht nicht ums Aufreißen", sagt Wenzel. Stattdessen geht es vielmehr um sexuelle Aufklärung, um kulturelle Unterschiede und um Rollenbilder. Viele der Teilnehmer suchen vor allem eins — die Frau fürs Leben.

Herr Wenzel, warum braucht es Flirtkurse für Migranten?

Horst Wenzel Bei den Geflüchteten, die in den vergangen Monaten und Jahren nach Deutschland gekommen sind, ergeben sich zwei Probleme. Erstens gibt es in Ländern wie Syrien keine Dating-Kultur. Viele der Menschen, die von dort zu uns kommen, hatten noch nie eine Beziehung, hatten noch nie Sex und sind auch nicht aufgeklärt. Sexualität außerhalb der Ehe ist eine Sünde und tabuisiert. Bei Sexualität und Verhütung gibt es erhebliche Wissenslücken. Es fehlen Erfahrungen mit der Liebe. Viele junge Männer verhalten sich daher fast naiv. Zweitens geht es um das Bilden von Freundschaften. Die meisten der Geflüchteten sind entweder mit anderen Flüchtlingen befreundet oder mit anderen arabisch sprechenden Migranten. Bei meinen Flirtkursen geht es um soziale Kontakte und Netzwerke. Der Begriff "Flirtkurs" ist da überstrapaziert.

Sie sprechen von sexueller Aufklärung, was hat denn Flirten mit Sex zu tun?

Wenzel Das eine muss nicht zwangsläufig zum anderen führen. Daher ist der Begriff "Flirtkurs" auch nur ein Label, aber in den Kursen geht es eben nicht nur darum. Viele der Teilnehmer wollen eine Freundin finden — und zwar nicht unbedingt eine deutsche Freundin.

Das heißt, Sie bieten keinen Kurs an "So reiße ich als Migrant eine deutsche Frau auf"...

Wenzel Das hört sich sehr böse an. Es geht nicht ums Aufreißen. Es geht darum, dass langfristige Beziehungen entstehen. Die Teilnehmer sollen sensibel dafür sein, was ok ist und was nicht. Wir reden viel über Grenzen des Anderen. Das eigene Spaßempfinden und die eigene Lust dürfen nur so weit gehen, bis sie die Freiheit eines anderen tangieren. Gerade im Hinblick auf die Kölner Silvesternacht 2015 ist das ziemlich wichtig. Wir reden zum Beispiel auch über Körpersprache. Woran kann ich erkennen, dass jemand etwas will oder nicht will?

Sie erwähnen die Kölner Silvesternacht als gesellschaftliches Schlüsselerlebnis. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, so etwas anzubieten?

Wenzel Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, dass man sich hier leichter integrieren kann. An erster Stelle wollen die Geflüchteten, die zu mir in die Kurse kommen, übrigens die Sprache lernen, einen Job finden und Freundschaften schließen. Erst danach kommt der Wunsch nach einer Beziehung. Das finde ich auch gut so. Nachdem die existentielle Bedrohung verschwunden ist, ist das nun der nächste Schritt. Wer um sein Leben fürchtet, interessiert sich nicht für soziale Kontakte oder Anerkennung. Eine Partnerschaft gehört für viele Geflüchtete wie für andere Menschen auch zur Selbstverwirklichung.

Empfehlen Sie Ihren Teilnehmern eigentlich Tinder?

Wenzel Ja, zum Beispiel. Es gibt auch andere Dating-Apps, die ich empfehle. Viele Geflüchtete, wie übrigens auch andere Männer, machen die Erfahrung, dass sie viele Frauen anschreiben, aber keine Antwort bekommen. Apps wie "Once" gehen weniger auf Quantität als auf Qualität. Bei "Lovoo" kann man sich zum Beispiel sofort für eine Freizeitaktivität verabreden. Das macht es einfacher, in Kontakt zu kommen.

Was ist das Ziel Ihrer Workshops?

Wenzel Ich möchte die Sensibilität dafür schulen, dass es Unterschiede gibt, dass es hier ein anderes Frauenbild gibt, dass Frauen hier aktiv an der Gesellschaft teilhaben und gleichberechtigt sind. In Eritrea ist es beispielsweise üblich, dass die Eltern eine Braut aussuchen. In Syrien wird viel schneller geheiratet. Hier in Deutschland ist es aber üblich, vor der Hochzeit vier bis sechs Jahre zusammen zu sein. Und übrigens geht es vielen Kursteilnehmern tatsächlich ums Heiraten und nicht darum, eine deutsche Frau aufzureißen.

Frauenbild, unterschiedliche Beziehungsmuster, haben Sie eine Art Lehrplan?

Wenzel Toleranz zu haben dafür, dass es hier anders ist. Toleranz zum Beispiel auch für Beziehungen zwischen zwei Frauen oder zwei Männern. Verhütung ist auch ein Thema. Da wird immer viel gekichert in den Kursen, wenn ich frage, wo man Kondome kaufen kann. Also wirklich grundlegende Sachen. Ich möchte Missverständnisse ausräumen. Mir ist es schon zweimal passiert, dass jemand eine Frau als Freundin bezeichnet hat, die er nur einmal getroffen hat und der er einen Herzchen-Smiley geschickt hat. Ein anderer hat sich in eine verguckt, mit der er nur gechattet hat.

Wie erklären Sie sich sowas?

Wenzel Ganz klar, mangelnde Erfahrung. Übrigens haben viele auch die Vorstellung, sie heiraten erst und dann kommt der Sex. Da sage ich dann auch, dass das in Deutschland so nicht mehr üblich ist. Kein Mensch kauft heutzutage die Katze im Sack.

Wie reagieren Ihre Teilnehmer denn auf sowas?

Wenzel Da gibt es durchaus krasse Reaktionen. Ich sage nicht, dass es so oder so sein muss, sondern dass beides ok ist.

Welche Rolle spielt Religion?

Wenzel Eine große. Allerdings können die Teilnehmer auch differenzieren, dass es unabhängig von der Religion in Deutschland andere Vorstellungen von Beziehungen gibt.

Woher nehmen Sie eigentlich Ihr Wissen über interkulturelle Unterschiede beim Flirten?

Wenzel Ich schöpfe aus meinem Erfahrungsschatz. Ich arbeite seit fünf Jahren als Flirtcoach. Und die Grundfragen sind oft die gleichen. Wie erkenne ich Interesse, wie spreche ich jemanden an, wie mache ich ein Date aus, wie wird ein Date zum Erfolg, wie schaffe ich es, schneller in eine Beziehung zu kommen? — Das sind so die Fragen, die sich alle stellen, egal ob Migrant oder Deutscher. Ich rede mit den Geflüchteten auch über unterschiedliche Erregungskurven bei Männern und Frauen.

Mir kommt der Eindruck, dass sie mehr sexuelle Aufklärung machen als klassischen Flirtunterricht...

Wenzel Ich habe als Flirtcoach oft mit absoluten Beginnern zu tun, die noch nie eine feste Beziehung hatten und noch Jungfrau sind. Das ist vergleichbar. Die Fragen sind komplett die gleichen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Zielsetzung ich habe, ob ich eine Affäre suche oder die Frau zum Heiraten. Irgendwann muss es den ersten Kuss geben und irgendwann muss man das erste Mal miteinander schlafen und zueinander finden. Das sind genau die gleichen Stellrädchen, an denen ich drehe. Ich merke: die Unterschiede sind nicht so groß. Vielleicht starten die Menschen nur mit unterschiedlichen Ressourcen.

Zu den Problemen, die man vielleicht als unerfahrener Mann hat, kommt nicht noch eine zusätzliche Herausforderung durch Vorurteile und Diskriminierung hinzu?

Wenzel Die Geflüchteten in meinen Kursen kommen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan, Irak, Eritrea. Junge Männer erzählen oft, dass Chats abrupt enden, wenn sie erzählen, woher sie kommen. Auch Alltagsgespräche enden oft dann schon. Flirten kann da ein spielerisches Mittel sein. Alltagskommunikation ist aber noch viel wichtiger. Die breite Masse ist oft sehr einsam. Die haben dann ihre drei Kumpel im Flüchtlingsheim und sonst kennen die keinen.

Wie wichtig ist Sprache beim Flirten?

Wenzel Das ist unglaublich wichtig. Die Sprache ist meistens schon eine Kontaktbarriere.

Was lernen Sie denn von Ihren Teilnehmern?

Wenzel Ich finde es spannend, mehr über andere Kulturen zu lernen.

Und was das Liebeswerben angeht?

Wenzel Ich bin ganz happy, wie das hier läuft. Wenn ich mir vorstelle, dass deine Eltern dir ein Date aussuchen...

Verfolgen Sie, ob jemand Ihre Hinweise befolgt und eine Beziehung eingeht?

Wenzel Ja, das gibt es. Manchmal sind die Beziehungen auch nur kurz. Aber es gehört nun mal dazu, dass man in der Liebe auch mal auf die Nase fällt.

(heif)
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