Freizügigkeit in der Europäischen Union Städte fürchten Ansturm aus Osteuropa

Ab dem 1. Januar 2014 dürfen EU-Staatsbürger aus Rumänien und Bulgarien in Deutschland ohne Einschränkungen arbeiten. Der deutsche Städtetag erwartet eine neue Welle von Zuwanderern. Forscher sehen den Zustrom positiv.

Blick auf Duisburgs "Problemhaus" in Rheinhausen
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Foto: dpa, obe hpl

Sieben Jahre nach dem EU-Beitritt der südosteuropäischen Staaten Bulgarien und Rumänien fallen für deren Bürger am 1. Januar 2014 die letzten Schranken auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Deswegen blicken viele Kommunen in NRW mit Sorge auf das kommende Jahr. Städte wie Duisburg und Dortmund befürchten eine neue Welle von Zuwanderern.

Warum dürfen Rumänen und Bulgaren ab 2014 uneingeschränkt in Deutschland arbeiten? Am 1. Januar ändert sich das Arbeitsrecht für diese Staatsbürger. Die beiden südosteuropäischen Länder sind der Europäischen Union zwar schon am 1. Januar 2007 beigetreten. Jedoch wurde damals im Beitrittsvertrag festgehalten, dass Bulgaren und Rumänen in Staaten wie Deutschland nur eingeschränkt arbeiten dürfen, damit der Arbeitsmarkt nicht überschwemmt wird. Ausnahmen galten bislang zum Beispiel nur für Akademiker und ausgebildete Facharbeiter. Ungelernte durften bis jetzt nur sechs Monate als Saisonkräfte in Deutschland tätig sein. Diese Einschränkungen enden am 31. Dezember 2013. Danach haben alle Bürger uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

Zuwanderer-Diskussion: Drei Demonstrationen in Duisburg
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Weshalb fürchten sich die Städte vor der Arbeitsfreizügigkeit? Viele Kommunen sind jetzt schon überfordert. In Städten wie Duisburg und Dortmund zum Beispiel leben schon seit Jahren Zehntausende Rumänen und Bulgaren unter teils widrigen Umständen. Sie haben Anspruch auf Sozialleistungen — unter anderem auf Kindergeld. Doch diese Kosten können die betroffenen Städte, die wie Duisburg etwa einen Nothaushalt haben, eigentlich nicht stemmen. Dort fürchtet man nun, dass die Zahl der Zuwanderer ab dem 1. Januar noch steigen wird — und damit auch die Kosten.

Die Kommunen könnten die zu erwartenden Zuwandererzahlen nicht mehr bewältigen. Gestritten wird vor allen Dingen ums Geld. Die Städte fordern, dass Land, Bund und EU zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen, um damit unter anderem die Sozialleistungen (Wohngeld, Kindergeld) finanzieren zu können. Nach Einschätzung des Städtetages müsse das Problem auf europäischer Ebene gelöst werden. "In den Herkunftsländern müssen die Lebensbedingungen verbessert werden, um Armutszuwanderungen innerhalb der EU unnötig zu machen", heißt es beim Städtetag.

Ist die Sorge vor einer neuen Flüchtlingswelle berechtigt? Darüber streiten sich die Experten. Die Meinungen gehen weit auseinander. Während die einen sagen, dass es nicht zu erwarten sei, dass gering qualifizierte Arbeiter aus Rumänen und Bulgarien massenhaft nach Deutschland kommen werden, befürchten andere genau das Gegenteil — wie etwa der Deutsche Städtetag. Dort warnt man bereits seit Monaten vor einer Armutseinwanderung. Tatsächlich hat sich die Zahl der Nettozuwanderer aus diesen beiden Staaten seit 2007 bereits mehr als verdoppelt. Insgesamt leben in Deutschland dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge rund 170 000 Rumänen und 15 000 Bulgaren. Experten schätzen, dass durch die Freizügigkeit noch etwa 200 000 Bürger aus Rumänien und Bulgarien zusätzlich nach Deutschland kommen werden. Im vergangenen Jahr wanderten rund 71 000 Menschen aus den beiden Ländern ein.

Gibt es genügend Arbeit für die Südosteuropäer in Deutschland? Laut der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), die der Bundesagentur für Arbeit untersteht, wollen viele Unternehmen in Deutschland Rumänen und Bulgaren beschäftigen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres hat es bisher 49 288 Arbeitsgenehmigungen für Personen aus Rumänien und Bulgarien gegeben — vor allem in der Gastronomie oder im Baugewerbe. Die Experten rechnen damit, dass sich die Zahl mit Wegfall der Arbeitsbeschränkungen innerhalb eines Jahres verdoppeln könnte.

Kann Deutschland von den Zuwanderern profitieren? Nach Ansicht von Migrationsforschern auf jeden Fall. Sie meinen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit wirke sich auf den deutschen Arbeitsmarkt positiv aus. Die große Mehrheit der Zuwanderer aus beiden Staaten seien gutqualifizierte Fachkräfte wie Ärzte oder Ingenieure, die in Deutschland dringend gebraucht würden, heißt es zum Beispiel in einer Analyse des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA/Bonn).

Wieso kommen so viele Rumänen und Bulgaren ausgerechnet nach Duisburg und Dortmund? In beiden Städten gibt es viel Leerstand. In diese Gebäude, die meist verfallen sind, werden die Südosteuropäer vermittelt und einquartiert — oft durch Familienangehörige, die als eine Art Vorhut in die Stadt gekommen sind. In Duisburg leben schon rund 10 000 Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien. Alteingesessene ziehen weg. Stadtteile verkommen, werden zu Ghettos.

Wie reagieren andere Staaten in Europa? Nicht nur für Deutschland, auch für viele andere EU-Mitgliedstaaten ist der 1. Januar 2014 ein kritisches Datum. Die britische Regierung befürchtet einen "Sozialleistungstourismus". Die Medien auf der Insel führen seit Monaten als warnendes Beispiel das "Problemhaus" in Duisburg an. Die Zeitungen sind voll mit Berichten von den Zuständen in dem Gebäude. In Frankreich, wo die Arbeitslosenquote extrem hoch ist, hetzen bereits Rechtsextreme gegen die Zuwanderer.

(RP)
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