Almosen oder Nebentätigkeit? Jobcenter kürzt Dortmunder Bettler die Bezüge

Dortmund · Ein Mann aus Dortmund geht in der Innenstadt betteln. Als eine Mitarbeiterin des Jobcenters ihn erkennt, werden ihm die Bezüge gekürzt. Die Behörde sieht im Schnorren nämlich eine Art Nebentätigkeit.

 "Das müssen wir. Ob wir wollen oder nicht": Michael Hansen bettelt.

"Das müssen wir. Ob wir wollen oder nicht": Michael Hansen bettelt.

Foto: Tobias Großekemper (Ruhr Nachrichten)

Auch an diesem Mittwoch sitzt Michael Hansen in der Dortmunder Innenstadt auf dem Boden vor einem Geschäft. Vor ihm steht ein Pappbecher, in den Passanten ab und an etwas Kleingeld werfen. Der 50-Jährige bettelt. In der Nähe ist seine Frau Christa als seelische Unterstützung. Ihr Mann "ist am Schnorren", sagt die 56-Jährige. Der Medienrummel um seine Person und Geschichte habe ihn ziemlich aufgewühlt. Er selbst redet heute deshalb nicht mit unserer Redaktion. Die "Ruhr Nachrichten" aus Dortmund hatten zuerst über diesen Fall berichtet.

Das Ehepaar aus der Dortmunder Nordstadt — einem sozialen Brennpunkt — bekommt Hartz IV. Weil es trotzdem oft nicht reicht, ist Michael Hansen irgendwann an mehreren Tagen im Monat betteln gegangen. "Das müssen wir. Ob wir wollen oder nicht", sagt seine Frau. Gerade jetzt sei das Betteln nötigt, erzählt sie. Nachdem eine Mitarbeiterin des Jobcenters Michael Hansen beim Schnorren sieht, kürzt die Behörde dem Ehepaar Bezüge. "Zuerst ist das Jobcenter von zehn Euro am Tag ausgegangen, die mein Mann sich beim Betteln dazuverdient und das sind 300 Euro im Monat, die wir weniger bekommen haben." Abzüglich einer Pauschale von 30 Euro landen vom Jobcenter dann 270 Euro weniger im Monat auf dem Konto der Hansens.

Die Eheleute wenden sich an Juliane Meuter — eine Anwältin, die Michael Hansen beim Schnorren kennengelernt hat. Sie legt Widerspruch gegen den Bescheid vom Jobcenter ein. "Das war für die Familie sehr dramatisch", sagt die Anwältin für Sozialrecht. Im September rechnet die Behörde nur noch mit 120 Euro Einnahmen durch das Betteln. Abzüglich der Pauschale werden also jetzt 90 Euro von den Leistungen nicht ausgezahlt. Dazu kommt laut Anwältin und Christa Hansen allerdings noch ein weiteres Schreiben vom Jobcenter: Michael Hansen soll Buch über seine Einnahmen führen, die in seinem Pappbecher landen. Und noch mehr: Er soll zur Gewerbemeldestelle in Dortmund gehen und überprüfen lassen, ob er mit dem Betteln einer meldepflichtigen Tätigkeit nachgeht.

"Er sitzt da nicht aus Spaß"

Über die Schreiben vom Jobcenter zeigt sich Meuter empört: "Er sitzt da nicht aus Spaß, sondern weil es finanziell eng ist. Er findet keinen Job, hat Geldsorgen und setzt sich dann halt dahin. Die jetzige Situation hat ein Maß angenommen, das ist nicht menschlich und schikanös. Jeden Kaffee, jedes Brötchen, Futter für den Hund, alle Bustickets, die er für das Betteln kauft, müsste er belegen".

Viele offenen Fragen

Tatsächlich wirft die Geschichte um Michael Hansen viele Fragen auf: Wo zieht man die Grenze zwischen Almosen und Einkünften? Ab wann wird der Bettler zum Kleingewerbebetreibenden? Wie sind die Einnahmen dann anzurechnen? Was ist mit Hartz-IV-Empfängern, die Pfandflaschen sammeln, um etwas mehr Geld zu haben? Was ist mit denen, die zur Tafel gehen? Wie überprüfungsfähig kann so ein Buch sein, das ein Bettler selbst führt?

Das Jobcenter Dortmund sieht sich bei der Maßnahme im Recht. Sprecher Michael Schneider verweist auf die Regelungen im Sozialgesetzbuch: "Grundsätzlich überprüfen wir Bettler natürlich nicht. Besteht jedoch Anlass zu der Vermutung, dass Leistungsbezieher monetäre Zuflüsse Dritter regelmäßig oder dauerhaft erhalten, die den Charakter von Almosen übersteigen, müssen wir aufgrund der Paragraphen 11 und 11a Absatz 5 SGB II eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Einkünfte vornehmen." Und eben dazu solle Hansen das Einnahmebuch führen. Das Sozialgericht Dortmund habe in einem ähnlichen Fall einen Leistungsempfänger verpflichtet, ein solches Einnahmebuch zu führen, sagt Schneider: "Eine Dokumentation sei für die leistungsrechtliche Berücksichtigung erforderlich. Nach Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnitts können seine Leistungen dann anhand der tatsächlichen Einnahmen nachberechnet werden."

Ähnlicher Fall in Göttingen

Davon, ein Einnahmebuch zu führen, rät seine Anwältin Hansen allerdings ab. Sie sieht das Recht auf der Seite des 50-Jährigen: "Es gibt Ausnahmen vom Gesetz. Dazu gehören Schmerzensgeld, Pflegegeld und auch freiwillige Zuwendungen Dritter, zu denen sie nicht verpflichtet sind." Solche Bücher seien für Gewerbetreibende gedacht, nicht für Menschen, die schnorren.

In Göttingen gab es im Jahr 2009 einen ähnlichen Fall: Damals hatte die Stadt einem Bettler die Sozialhilfe gekürzt. Nach Berichterstattung, öffentlicher Empörung und Einschreiten des niedersächsischen Sozialministeriums ruderte sie zurück. Wie es für den Dortmunder ausgehen wird, ist allerdings noch ungewiss.

Seine Frau erzählt, es gibt bereits ein neues Schreiben: "Darin steht, Michael soll bis Ende der Woche das Einnahmebuch vorlegen, sonst werden uns die Leistungen ganz gestrichen."

(see)
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