Analyse Diesel-Dämmerung

Leipzig · Das Bundesverwaltungsgericht lässt sich mehr Zeit bei der Entscheidung, ob Diesel-Fahrverbote zulässlich sind. Wenn die Verwaltungsrichter sich nicht in die Arme der EU-Justiz flüchten wollen, müssen sie abwägen zwischen dem Recht auf Eigentum und dem auf gesundheitliche Unversehrtheit. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

 Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Foto: dpa, wil kno

In Leipzig ist die Welt noch in Ordnung: Stickoxide sind in der Stadt, in der das Bundesverwaltungsgericht sitzt, kein Problem. Leipzig hält die Grenzwerte ein. Doch im Gericht herrscht dicke Luft - viele Menschen, komplexe Materie, scharfe Argumente. Am Ende vertagt Richter Andreas Korbmacher die Entscheidung zu möglichen Diesel-Fahrverboten: "Wir sehen noch erheblichen Beratungsbedarf."

Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf hatten nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe die Behörden verpflichtet, ihre Luftreinhaltepläne so zu verschärfen, dass die Grenzwerte für Stickoxide schnell eingehalten werden. Als mögliche Maßnahmen sollen die Städte auch Fahrverbote prüfen. Gegen die Entscheidungen zogen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen vor das Bundesverwaltungsgericht. Sollten die Leipziger Richter die Revision der Länder zurückweisen, würden sie faktisch Fahrverbote für zulässig erklären.

Das ist eine der Kernfragen. Nach Auffassung der beiden Länder gibt das Bundesimmissionsschutzgesetz den Städten keine Möglichkeit, eigenständig Fahrverbote zu verhängen. Dafür müsste es eine einheitliche Bundes- oder Europa-Regelung geben; bislang wollte aber weder Berlin noch Brüssel der Buhmann der Autofahrernation sein. Die Umwelthilfe meint dagegen, dass Fahrverbote bereits durch das Immissionsschutzgesetz legitimiert sind.

In der Tat ist das Gesetz mächtiger als sein Name vermuten lässt. Auf seiner Basis wurde in NRW das Kohlekraftwerk Datteln über Jahre verhindert, obwohl Eon und Uniper dadurch Millionen-Ausfälle erlitten. Doch die Leipziger Richter prüfen auch die Verhältnismäßigkeit: Und der Ausfall eines Kraftwerks ist nicht nur politisch etwas anderes als Fahrverbote, die Dieselfahrer faktisch enteignen, weil sie ihr Auto nur noch eingeschränkt nutzen können.

Im Grundgesetz sind das Recht auf Eigentum (Artikel 14) und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2) festgeschrieben. Dass Stickoxide und der sie begleitende Feinstaub gesundheitsschädlich sind, steht außer Frage. Nicht umsonst veröffentlichte das Umweltbundesamt am Vortag eine Studie, wonach jährlich 6000 Menschen in Deutschland vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, die von Stickoxiden ausgelöst werden. Auch mahnt die EU unter Verweis auf Gesundheitsgefahren seit Jahren Maßnahmen an. Politik und Autokonzerne in Deutschland haben das lange ignoriert. Umso schwerer wiegt nun das Recht auf Unversehrtheit.

Die Frage ist, wie stark das Eigentum überhaupt beschränkt wird. So brachten die Richter ein stufenweises Vorgehen ins Spiel: Denkbar sei, erst Diesel der Abgasnorm Euro 4 (galt von 2005 bis 2009) und später von Euro 5 (2009 bis 2014) mit einem Verbot zu belegen. Auch können sich Verbote auf einzelne Straßen oder Stoßzeiten beschränken. Und das Ganze kann eine Frage der Entschädigung sein.

Die IG BCE fordert, dass bei Fahrverboten Hersteller und Händler verpflichtet werden, Autos gegen Geld zurückzunehmen. "Niemand darf bestraft werden, dass er einst in Treu und Glauben einen Diesel kaufte", sagte Gewerkschafts-Chef Michael Vassiliadis. Andere wollen, dass der Staat zahlt. Ordnungspolitisch wäre das eine Sünde, aber der Diesel wäre nicht die erste Technik, die Deutschland mit Steuergeld sterben lässt wie Atom- und Kohle-Ausstieg zeigen.

Ja, indirekt. Die Kommission erwägt bereits eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der anhaltenden Überschreitung der EU-Grenzwerte in vielen Städten. Am Donnerstag hat der EuGH bereits Polen verurteilt, weil es seit Jahren nichts gegen die zu schlechte Luft in seinen Städte tut. Hier ist die Ursache allerdings weniger der Autoverkehr als die Verheizung von Kohle.

Der EuGH könnte die Bundesregierung zwingen, durch Maßnahmen wie die Einführung der "Blauen Plakette" für bessere Luft zu sorgen. Würde das Leipziger Gericht die Frage selbst an den EuGH weiterleiten, würde das Verfahren ein weiteres Jahr beanspruchen. Eine wichtige Frage für die Richter ist, ob nationale Regeln hinter EU-Recht zurückträten. Wenn dem so wäre, könnte der EuGH ein zu mildes Urteil der Leipziger später kippen.

Polizeivertreter weisen darauf hin, dass sich Verbote praktisch nicht kontrollieren ließen. Polizisten müssten Autos stoppen und in die Fahrzeugpapiere schauen. Dafür hat die Polizei keine Kapazität. Daher fordern Städtetag, Grüne und viele Länder die Einführung der "Blauen Plakette". Diese müsste die Bundesregierung per Gesetz verfügen. Dadurch würde für die Kommunen ein neues Instrument für Luftreinhaltung geschaffen.

Wenn sich eine Stadt für die "Blaue Plakette" entscheidet, dürften in der Innenstadt nur noch Autos fahren, die diese tragen. Dies wäre für alle Benziner, Elektro- und Gasantriebe sowie für Diesel der Euro-6-Norm der Fall. Durch die Plakette würde das begrenzte Fahrverbot für ältere Diesel kontrollierbar. Zudem gäbe es eine bundeseinheitliche Regelung für alle Städte. Da die "Blaue Plakette" aber Fahrverbote bedeuten würde, hat sich die Union bisher strikt dagegen ausgesprochen.

Heute vor 125 Jahren reichte Rudolf Diesel sein Patent ein, und so schnell wird sein Motor nicht sterben. Denn technisch wird es schwierig, die EU-Grenzwerte für Kohlendioxid (CO2) ohne Diesel einzuhalten. Lange förderte die Politik den Diesel sogar als grünes Auto, weil er weniger Sprit verbraucht und weniger CO2 ausstößt.

Und noch sind Elektroautos wegen fehlender Reichweite und zu hoher Preise keine Alternative für die Masse. Ob Elektromotoren für schwere Lkw jemals taugen, ist offen. Klar ist aber auch: Erst wenn der Staat ernst macht mit seinen Grenzwerten, können sie als Innovationspeitsche funktionieren.

(mar)
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