NRW Dauerarrest soll jugendliche Straftäter wachrütteln

Velbert · Rund 5000 Jugendliche landen in NRW jährlich im Dauerarrest. Die bis zu vierwöchige Haft soll zur Abschreckung dienen. In dieser Zeit helfen Sozialarbeiter den Jugendlichen, von der schiefen Bahn herunterzukommen. Ein Besuch.

 Eine Fahrradtour ist eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag hinter Gittern. Denn die Regeln im Arrest sind strenger als in vielen Erwachsenen-Gefängnissen.

Eine Fahrradtour ist eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag hinter Gittern. Denn die Regeln im Arrest sind strenger als in vielen Erwachsenen-Gefängnissen.

Foto: Achim Blazy

"Hey, kennst du diese Grillfackeln? Meine kleine Nichte steht total darauf", fragt Manuel (17) seinen Sitznachbarn. Dieser nickt, während er in einen Hamburger beißt. Es ist ein typisches Gespräch unter Jugendlichen beim Grillen. Ganz untypisch sind allerdings die Umstände, unter denen die 17 Heranwachsenden im Alter von 17 bis 20 Jahren in der Jugendherberge in Velbert zusammengekommen sind. Eigentlich müssten sie gerade hinter Schloss und Riegel sitzen - in den Jugendarrestanstalten in Düsseldorf, Remscheid und Bottrop.

Sie alle sind wegen Straftaten zu einem sogenannten Dauerarrest von bis zu vier Wochen verurteilt worden. "Das ist eine erzieherische Maßnahme", erklärt Sozialarbeiter René Bülten. "Und ein letzter Schuss vor den Bug. Die Jugendlichen sollen erleben, wie es im Knast ist", betont er.

Rund 5000 Jugendliche kommen jährlich in NRW in den Dauerarrest. Fünf Jugendarrestanstalten mit rund 260 Plätzen gibt es im Land. Die einsitzenden Jugendlichen wurden entweder nach dem Jugendstrafrecht verurteilt oder haben gegen Auflagen verstoßen, indem sie zum Beispiel Sozialstunden geschwänzt haben. "Diebstahl und Körperverletzungen sind die häufigsten Straftaten", erklärt Bülten. Aber auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und häufiges Schwarzfahren können zu einem Dauerarrest führen.

Ein Grillnachmittag wie in Velbert ist eine erzieherische Maßnahme. "Die Jungs unternehmen den Ausflug als Team. Sie sollen dabei üben, andere zu unterstützen und mit Respekt zu behandeln", erklärt Sozialarbeiter Bülten. Viele der Jugendlichen hätten Probleme schon mit den einfachsten Umgangsformen. "Sie haben oftmals nur geringe Sozialkompetenzen", sagt der Betreuer. Für die Jugendlichen ist der Fahrradausflug eine Abwechslung zum tristen Alltag hinter Gittern. Denn die Regeln im Arrest sind strenger als in vielen Erwachsenen-Gefängnissen: Handys, Musikanlagen und Fernsehgeräte sind in den kleinen Zellen verboten. Zwischen Frühstück und Abendessen dürfen sich die jungen Häftlinge zwischen 14 und 20 Jahren nicht auf die Betten legen. Nur lesen und Briefe schreiben ist erlaubt. "Das geht voll auf die Psyche", betont der 20-jährige Steven, der für vier Wochen in der Düsseldorfer Jugendarrestanstalt einsitzt. Doch genau das wollen die Sozialarbeiter bei den Jugendlichen erreichen. "Wir wollen sie zum Grübeln bringen", sagt Bülten. "Sie sollen ihre Straftat reflektieren und über ihre Lebenssituation nachdenken." Denn die sehe in den meisten Fällen nicht rosig aus.

So hätten viele der Jugendlichen weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung. Oft kämen sie aus schwierigen Familienverhältnissen, manche würden ihre Väter nicht kennen, und auch Drogenabhängigkeit sei ein häufiges Problem. Beratungsangebote, Anti-Aggressionstrainings und Drogenentwöhnungskurse sollen ihnen helfen, von der schiefen Bahn herunterzukommen.

Mit einem Punktesystem wird gutes Verhalten belohnt: Wer die Regeln befolgt und Arbeiten in der Anstalt übernimmt, kann Sportangebote nutzen, fernsehen oder an Ausflügen teilnehmen. Manuel und Steven sitzen wegen gefährlicher beziehungsweiser schwerer Körperverletzung in der Jugendarrestanstalt in Düsseldorf. Wie viele andere dort kommen sie aus dem Ruhrgebiet, aus Duisburg und Gelsenkirchen. Was sie noch gemeinsam haben: Beide sind schon zum zweiten Mal im Dauerarrest. Das sei keine Seltenheit, wie Bülten erklärt. "Manche kapieren es beim ersten Mal, andere sehen wir mehrmals."

Wie die meisten rechtfertigen die beiden ihre Taten mit Notwehr - sie hätten sich oder einen Freund verteidigt. Wer ihnen zuhört, kann den Eindruck gewinnen, dass es in Gelsenkirchen und Duisburg nicht viel braucht, bis sich Jugendliche an die Gurgel gehen. "Das eskaliert schnell. Man wird geschlagen, oder man schlägt zurück", erzählt Steven. "Oft ist das Umfeld das Problem", erklärt Bülten.

Obwohl Steven im Arrest sitzt, sieht er sich auf einem guten Weg. Mit einem Hauptschulabschluss habe er eine Ausbildung zum Bodenleger gefunden - sein Chef weiß, dass er im Arrest ist. Nicht ohne Stolz erklärt er, dass er ein Auto und eine Freundin habe. "Ich stehe mitten im Leben und bin viel ruhiger als früher", erklärt er. Nach dem Jugendarrest freue er sich wieder auf die Arbeit. Allerdings ist er vorbestraft und muss bei weiteren Vergehen mit Gefängnis rechnen. Auch Manuel sollte aufpassen. Denn er muss sich noch wegen weiteren Straftaten vor Gericht verantworten. Dabei hat der 17-Jährige, der nur die achte Klasse beendet hat, gerade eine Ausbildung als Koch in einer Kantine gefunden.

(RP)
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