Anwalt für Verkehrsrecht zu Raserunfall "Raser denken nicht daran, dass jemand zu Tode kommen kann"

Düsseldorf/Essen · Bei einem Rennen zwischen mehreren Autos in Mönchengladbach ist ein Fußgänger ums Leben gekommen. Die Tat soll als Mord eingestuft werden. Was das bedeutet, erklärt ein Düsseldorfer Anwalt für Verkehrsrecht.

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Foto: Theo Titz

Herr Momberger, wie viele Fälle von Raserei betreuen Sie in Ihrer Kanzlei?

Henrik Momberger Wir sind zwölf Anwälte, die sich nur um Verkehrsrecht kümmern, und haben jeden Monat gut 150 Fälle von Raserei. Das sind aber meistens Fälle, die sich im Bereich von Ordnungswidrigkeiten bewegen. Also Fahrer, die zu schnell waren und geblitzt wurden. Von den anderen Fällen haben wir etwa drei pro Monat.

Bei solchen Rasereien kommt es immer wieder zu schweren Unfällen. Trotzdem gelten sie gesetzlich nur als Ordnungswidrigkeit. Wieso?

Momberger Das stimmt nicht ganz. Eine Raserei kann zu einer Straftat werden, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind. Man spricht dann von einer Straßenverkehrsgefährdung.

 Henrik Momberger ist Anwalt für Verkehrsrecht in Düsseldorf.

Henrik Momberger ist Anwalt für Verkehrsrecht in Düsseldorf.

Foto: Henrik Momberger

Wie unterscheidet sich das?

Momberger Bei einer Ordnungswidrigkeit fährt jemand einfach sehr schnell. Das könnte beispielsweise auch auf dieser Straße in Mönchengladbach sein. Ich kenne diese Straße. Sie ist gut ausgebaut, breit und geht über eine recht lange Strecke. Wenn dort jemand einfach sehr schnell fährt, spricht man von einer Ordnungswidrigkeit, auf die 1000 Euro Bußgeld, bei Vorsatz auch bis zu 1500 Euro Bußgeld, plus Punkte in Flensburg und drei Monate Fahrverbot, stehen.

Wann handelt es sich um eine Straßenverkehrsgefährdung?

Momberger Das gilt, wenn es sich dabei um eine unübersichtliche Stelle handelt. Wer 120 Sachen in kleinen verwinkelten Gassen in Berlin fährt, ist beispielsweise in diesem Bereich. Im Strafgesetzbuch heißt es, wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen wie Fußgängerüberwegen, Straßenkreuzungen oder Straßeneinmündungen fährt, verhält sich straßenverkehrsgefährdend. Es kommt auf die genauen Umstände an, aber darauf steht eine Freiheitsentzug von drei bis fünf Jahren. Allerdings kommt es dazu sehr selten.

Stimmt es, dass die Strafe für Raserei verschärft werden soll?

Momberger Ja, das stimmt. Die Überlegung gibt es seit letztem Jahr. Da hat ein Gericht in Berlin einen Raser wegen Mordes verurteilt. Der Fall wird demnächst vor dem Bundesgerichtshof entschieden. Denn eigentlich lässt unser Strafsystem dieses Urteil nicht zu.

Wieso?

Momberger Weil es für einen Mord bestimmte Motive gibt. Das kann Habgier sein, Mordlust, Heimtücke, Grausamkeit und die Verdeckung einer anderen Straftat, die sind alle für das Thema Raserei uninteressant. Dann gibt es noch den Einsatz gemeingefährlicher Mittel. Das wäre insofern für den Kontext Raserei relevant, weil man sagen kann, dass jemand, der mit 190 km/h durch eine 50er-Zone fährt, das Geschehen aus seinen Händen gibt, und nur noch der Zufall entscheidet, wie diese Situation ausgeht. Aber ich schätze nicht, dass das als Mordmerkmal reicht. Ein anderes Problem ist, den Vorsatz nachzuweisen.

Wie meinen Sie das?

Momberger Sie müssen dem Täter sozusagen in den Kopf gucken und einen Vorsatz für den Mord nachweisen. Rasern geht es aber meist nur um ihre geile Karre. Sie kriegen schon Panik, wenn da nur ein Staubkorn drankommt. Deshalb kann man schon sagen, dass sie einfach nicht mit einem Unfall rechnen. Die denken nicht daran, dass dabei jemand zu Tode kommen kann.

Inwiefern sollen die Strafen dann verschärft werden?

Momberger Man will die Einschränkungen im Gesetz wegfallen lassen. Wenn also jeder mit einer Freiheitsstrafe belegt werden kann, der zu schnell ist, und nicht nur jemand, der an einer unübersichtlichen Stelle rast, hat man schon einen deutliche stärkeren Hebel.

Dafür muss allerdings auch nachgewiesen werden können, dass jemand gerast ist. Wie geht das?

Momberger Dafür gibt es spezielle Gutachter. Die sehen sich die Kaltverformung des Autos an, prüfen Vergleichsunfälle und -fahrten und können am Ende angeben, in welchem Geschwindigkeitsbereich das Fahrzeug unterwegs gewesen ist. Allerdings kann so ein Gutachten bis zu einem Jahr dauern — und in der Zwischenzeit darf der Raser in der Regel einfach weiter Auto fahren.

In der Mitteilung der Polizei Mönchengladbach steht, dass der Fall als Mord gewertet wird. Was bedeutet das?

Momberger Ich vermute, dass die Staatsanwaltschaft versuchen wird, das Auto als gemeingefährliches Mittel zu bewerten. Und zwar, weil der Täter billigend in Kauf genommen hat, dass bei der Raserei jemand zu Tode kommen könnte.

Und das hat dann Bestand?

Momberger Meiner Meinung nach wäre das zwar das richtige Ergebnis, aber ich schätze, dass das bei unserer aktuellen Gesetzeslage nicht haltbar ist. Eben aus den vorhin genannten Gründen.

Welche Strafe wird der Täter vermutlich verbüßen müssen?

Momberger Sicherlich eine Geldstrafe, die sich allerdings nach seinem Einkommen richtet. Hinzu wird in diesem Fall wohl eine Freiheitsstrafe kommen — ich schätze von drei bis vier Jahren. Außerdem wird er seine Fahrerlaubnis verlieren und eine Sperrfrist darauf bekommen, die vermutlich zwei Jahre dauern wird. Und bevor er den Führerschein wieder bekommt, wird er wohl eine Medizinisch-Psychologische-Untersuchung machen müssen. Also das, was man im Volksmund Idiotentest nennt. Aber die konkrete Strafe kann ich natürlich nicht absehen. Sie hängt von den Umständen ab und davon, wie die Verteidigung argumentiert.

(ham)
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