Prozess in Dortmund So erlebte der Busfahrer den Anschlag auf den BVB

Ihm sei noch immer mulmig, wenn er in den Bus steigt: Am Mittwoch hat der Fahrer des Mannschaftsbusses von Borussia Dortmund vor Gericht über den Bombenanschlag und die Folgen gesprochen.

 Der Fahrer des BVB-Mannschaftsbusses am Mittwoch vor Gericht.

Der Fahrer des BVB-Mannschaftsbusses am Mittwoch vor Gericht.

Foto: dpa, bt exa

Die Hände werden schwitzig und das Herz fängt schneller an zu schlagen, wenn Christian S. (47) die Straße vor dem BVB-Mannschaftshotel L'Arrivee in Dortmund entlangfährt - vorbei an der Hecke, wo am 11. April 2017 drei Sprengsätze explodierten, die der Mannschaft galten. "Ich bin immer froh, wenn ich die ersten Meter geschafft habe”, sagt der 47-jährige Dortmunder.

Er ist - genau wie ein Polizist - am Mittwoch vor dem Dortmunder Landgericht geladen, um über das Attentat auf die Mannschaft von Borussia Dortmund auszusagen. Dort ist der 28-jährige Sergej W. seit Dezember wegen 28-fachen versuchten Mordes angeklagt, weil er die drei Sprengsätze gezündet haben soll, an der der Mannschaftsbus auf dem Weg zum Stadion vorbei fuhr. Sein Motiv: W. soll in Folge des Anschlags auf fallende Aktienkurse des Vereins gewettet haben, um damit mehrere tausend Euro Gewinn zu machen. Sein Anwalt hatte zu Beginn des Prozesses erklärt, sein Mandant habe niemanden töten wollen, sondern die Spieler nur erschrecken wollen.

Busfahrer Christian S. ist ein patenter Mann. Er kommt bei den Minustemperaturen, die draußen herrschen, in schwarzem Kapuzenpulli und Anorak in den Gerichtssaal, zieht erstmal seine Jacke aus und hängt sie über die Stuhllehne, obwohl im Saal die Heizung ausgefallen ist und die Besucher in ihren Wintermänteln dasitzen.

Zunächst war alles wie immer

Seit 15 Jahren fährt S. für den Verein, seit etwa sieben Jahren befördert er die 1. Mannschaft. Er kann die Abläufe und Routinen vor den Spielen minutengenau nacherzählen. Und auch am Tag des Anschlags war zunächst "alles wie immer”, so erzählt es S. den Richtern.

Die Spieler stiegen nach einer letzten Teamsitzung mit Motivationsrede im Hotel in den Bus. Gegen 19.15 Uhr sollte es losgehen. Wenige Meter nachdem S. die Einfahrt des Hotels verlassen hatte, habe es eine heftige Explosion gegeben. Er habe instinktiv gebremst. "‘Wo bist du vorgefahren?', war mein erster Gedanke”, sagt S. und lacht dabei ein bisschen. Doch schnell dämmerte es ihm, dass er nichts gerammt hat, dass auch kein Fan der gegnerischen Mannschaft eine Flasche gegen den Bus geschleudert hat. Im Rückspiegel habe er eine dichte Rauchwolke gesehen. "Ich habe mich zum Herrn Tuchel umgedreht, weil ich nicht wusste, ob ich weiterfahren soll. Der hat aber nicht reagiert. Ich hab dann entschieden, dass ich erstmal weiterfahre”, erzählt S..

Wenige 100 Meter vom Anschlagsort entfernt habe er wieder angehalten. Dann sei der Videoanalyst der Mannschaft zu ihm gekommen, gemeinsam sei man ausgestiegen und zu dem Motorradpolizisten gegangen, der den Bus zum Stadion begleiten sollte. "Der war paralysiert”, erzählt S.. Der Beamte habe aber dann Verstärkung angefordert.

Auch Motorradpolizist leidet unter Folgen

Der Motorradpolizist ist an diesem Tag auch als Zeuge vor Gericht erschienen. Er berichtet, er sei dienstunfähig, habe das Geschehen noch nicht verarbeitet. Durch die Explosion hatte der 60-jährige Beamte ein Knalltrauma erlitten. Sergej W. entschuldigt sich in knappen Worten bei ihm. Sein Verteidiger bietet dem Beamten eine Entschädigung von 2000 Euro an. Die Entschuldigung nimmt der Polizist an, die Entschädigung nicht.

Der Busfahrer erzählt später, wie es in den ersten Minuten nach dem Anschlag weiterging. Er sei nach dem Gespräch mit dem Polizisten zum Bus zurückgekehrt. Einige Spieler seien in der Zwischenzeit ausgestiegen. Er habe Decken verteilt und den Medizinkoffer aus dem Laderaum an die Physiotherapeutin des Vereins gegeben. Diese hatte den Spieler Marc Bartra versorgt, der durch die Detonation am Arm verletzt wurde. "Ich habe viel telefoniert. Ich wollte zwei Ersatzbusse organisieren”, erzählt S.. Er sei kein Typ, der einfach abwarte, er habe gewollt, dass es irgendwie weitergeht. "Ich hab den Kollegen von der 2. Mannschaft angerufen und dem gesagt, dass mein Bus kaputt ist, und dass ich jetzt seinen brauche.”

Der Ersatzbus wurde dann aber dann doch nicht gebraucht, das Spiel wurde abgesagt.

Der Vorsitzende Richter Peter Windgätter will zuletzt noch wissen, ob S. unter den Folgen des Anschlags leide.

"Ich für meinen Teil bin da relativ gut rausgekommen”, antwortet S.. In bestimmten Situationen fühle er sich aber noch immer unwohl - etwa als er die Mannschaft zu einem Spiel nach London begleitet habe. "Wir sind da auch an Mülleimern vorbeigefahren, auf denen Mülltüten lagen. Da mache ich mir dann schon Gedanken, weil es hieß, dass die Sprengsätze auch durch Mülltüten getarnt waren.”

(heif)
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