Messerattacke auf Altenas Bürgermeister "Der Angreifer war verrückt"

Ahmet Demir rettete Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein wahrscheinlich das Leben: Er griff ein, als der Politiker von einem Mann mit einem Messer angegriffen wurde. Die Attacke macht ihn nachdenklich.

Ahmet Demir steht in seinem Döner-Imbiss in Altena und schüttelt den Kopf. "Der Mann war verrückt", sagt er. Gemeint ist Werner S., 56 Jahre alt, deutscher Staatsbürger, der am Abend zuvor in Demirs Imbiss Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein mit einem Messer angriff.

Zwischen 19.50 und 20 Uhr sei der Bürgermeister in den Laden gekommen. "Er kommt oft her, auch mit seiner Familie", sagt Ahmed. "Wir haben uns unterhalten über den Besuch des Bundespräsidenten, der abgesagt wurde." Nach ein paar Minuten sei der zweite Mann in den Imbiss gekommen. "Ich kannte ihn vom Sehen, mehr nicht." Der Mann bestellte einen Döner.

Andreas Hollstein: Angriff auf Bürgermeister von Altena
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Messer-Angriff auf den Bürgermeister von Altena

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Foto: dpa, hjb

Als Ahmed Demir sich umdrehte, um das Fleisch vom Spieß zu schneiden, hörte er, wie der Mann fragte: "Sind Sie der Bürgermeister?" Andreas Hollstein habe die Frage bejaht. "Zack, ging das los", erinnert sich Ahmed. "Er hat den Bürgermeister gepackt, hatte irgendwie ein Messer in der Hand und wollte ihm den Hals durchschneiden." Er zeigt, wie Werner S. nach seiner Beobachtung Andreas Hollstein gepackt hielt: Von hinten im Würgegriff, mit der Rechten das Messer führend.

Der Bürgermeister habe Glück gehabt, den Messerarm des Angreifers mit dem eigenen Unterarm wegdrücken zu können, sagt Ahmed. So habe er nur eine kleine Wunde am Hals davon getragen. "Ich bin vor die Theke gesprungen, habe geschrien: Ganz ruhig bleiben!" Er umklammerte den Messerarm des Angreifers, der Vater griff nach dem Messer und schnitt sich dabei die Hand zwischen Daumen und Zeigefinger auf. "Der Typ war sehr kräftig", sagt Ahmed.

"Ich habe ein drittes Leben geschenkt bekommen"

Die Staatsanwaltschaft hat das bei ihrer Pressekonferenz bestätigt: Werner S. sei als ehemaliger Maurer körperliche Arbeit gewohnt und entsprechend gebaut gewesen. Zu dritt schafften es der verletzte Bürgermeister, Ahmed Demir und sein Vater, den Mann in Schach zu halten. Die Mutter lief derweil um die Ecke zur Polizeiwache. "Erschießt mich!", soll Werner S. gerufen haben, als die Beamten eintrafen. Wie ernst er es meinte, soll ein psychiatrisches Gutachten zeigen.

Nur 15 Stunden nach dem wohl fremdenfeindlich motivierten Angriff auf ihn geht Hollstein schon an die Öffentlichkeit. Angeschlagen, noch merklich unter Schock, bleich, aber doch gefasst. "Ich kann sagen, dass ich mich gestern gefühlt habe wie bei meinem dritten Geburtstag." Vor einigen Jahren sei er vom Krebs geheilt worden. "Und gestern Abend habe ich ein drittes Leben geschenkt bekommen." Er hege "keinerlei Hass" gegenüber dem Angreifer. Hass sei immer ein Irrweg, mahnt der CDU-Politiker und Vater von vier Kindern. "Ich glaube, dass das Gift, was Menschen säen, vor allem durch die sozialen Medien, Eingang in simple Gemüter findet. Als solchen würde ich auch den Täter beschreiben."

Eine Schnittwunde am Hals hat Hollstein davongetragen. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Tat einen politischen Hintergrund hatte — ausgerechnet hier in Altena, jener Kleinstadt, die in den vergangenen zwei Jahren immer wieder als besonders vorbildlich im Umgang mit Flüchtlingen gelobt wurde. Der Angriff auf Hollstein ging nur deshalb so glimpflich aus, weil Holstein sich geistesgegenwärtig wehrte — und weil ihm die Inhaber des Döner-Ladens sofort zur Hilfe kamen.

"Es sind eben viele Menschen unzufrieden"

Nette Leute seien das in der Imbissbude, sagt Salvatore von der Eisdiele gegenüber. "Schon schlimm, wenn so etwas in Altena passiert. Es sind eben viele Menschen unzufrieden", sagt Salvatore, der schon seit vielen Jahrzehnten hier lebt."Sind halt viele unzufrieden" — das hört man öfter in Altena. Wie fast in der ganzen Bundesrepublik scheint auch durch diese Stadt ein Riss zu verlaufen. Auf der einen Seite die Unzufriedenen, die dem Bürgermeister die Schuld an ihrer Lage geben — und den Flüchtlingen, von denen Altena mehr aufgenommen hat, als es gemusst hätte.

Fast jeder Passant scheint jemanden zu kennen, der zu diesen Unzufriedenen zählt. "Sind ja auch viele Flüchtlinge hergekommen", sagt ein Rentner an der Bushaltestelle. "Wenn man im Bus sitzt, sieht man fast nur noch Schwarzhaarige. Mich stört das ja nicht", schiebt er noch hinterher. Ein paar Meter weiter steht Karsten Wolfewicz vor einem Café und unterhält sich mit Bekannten. Alle drei sind entsetzt über das, was am Montagabend passiert ist, aber: "Es schweißt uns alle noch mehr zusammen", sagt Wolfewicz, der selbst mit einer Syrerin liiert ist. Für ihn ist der Angriff auf den Bürgermeister die Tat eines Einzelnen, von der sich nichts Allgemeines ableiten lasse. "Dummheit kann man nicht erklären", sagt er noch.

Wo sind sie, die Unzufriedenen, von denen in Altena alle sprechen? "Du kümmerst dich um die Flüchtlinge, aber ich habe nichts mehr zu saufen", so oder so ähnlich soll Werner S. es dem Bürgermeister entgegen geschrien haben, als er ihn mit einem Messer attackierte. Dabei ging es nicht um Alkohol, auch wenn der Mann laut Polizei einen Blutwert von 1,1 Promille hatte. Hintergrund soll sein, dass ihm wegen Privatinsolvenz in seinem Haus in Altena das Wasser abgedreht wurde. Der arbeitslose Maurer, der nach Angaben der Polizei seit einer Scheidung in desolaten Zuständen allein lebt, hatte buchstäblich nichts mehr zu trinken. Dafür machte er den Bürgermeister verantwortlich.

"Haste gut gemacht, mein Junge"

Imbissbesitzer Ahmet Demir ist in Altena geboren und aufgewachsen. Dass so etwas in seiner Heimatstadt passiert, findet er schlimm. "Ich wäre am liebsten heute zu Hause geblieben", sagt er nachdenklich. "Aber mein Vater hat gesagt: Wir lassen nicht zu, dass er uns vom Leben abhält. Wir machen einfach weiter. Kopf hoch!"

So steht die Familie im Laden und reicht Döner über die Theke. Ein Rentner, der sich eine Portion Pommes holt, drückt Ahmed die Hand. "Haste gut gemacht, mein Junge." Gegen halb drei wird der Dönerladen der Demirs noch voller. Hollstein, in der Hand einen großen Blumenstrauß, kommt, um sich zu bedanken. Fünf Minuten dauert der Besuch, dann eilt Hollstein davon. Aber er hat noch eine Botschaft: Er ist seit 1999 Bürgermeister — und will es definitiv auch bleiben. Angst oder Verunsicherung zeigt der Politiker nicht, er will keinen Polizeischutz. "Bürgermeister und Polizeischutz ist so vereinbar wie Schnee im Juli. Das geht nicht, so kann ich meinen Job nicht machen."

(hpaw)
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