Altenas Bürgermeister Hollstein "Der Mensch, der das gemacht hat, tut mir leid"

Keine 24 Stunden, nachdem er in Altena von einem Mann attackiert wurde, sitzt Andreas Hollstein auf dem Rücksitz eines Autos, das ihn nach Siegen in ein Fernsehstudio bringt. Wie schaut er auf die Ereignisse des Tages?

Andreas Hollstein (54) war am Montagabend in einem Döner-Imbiss von einem 56-jährigen Ex-Maurer, der vor der Privatinsolvenz steht, am Hals mit einem Messer verletzt worden. Der Mann hatte offenbar aus Frustration über seine desolate Lage und über das Engagement des Altenaer Bürgermeisters für Flüchtlinge gehandelt.

Am Dienstagvormittag gab Hollstein eine Pressekonferenz, am Nachmittag bedankte er sich mit einem Blumenstrauß bei Ahmed Demir und seinem Vater. Die beiden Inhaber des Dönerladens hatten den Täter überwältigt und so Schlimmeres verhindert. Wir erreichen Hollstein am Abend auf dem Weg nach Siegen.

Herr Hollstein, wie war Ihr Tag?

Andreas Hollstein Anstrengend, sicherlich auch mit einer Spur Dankbarkeit dafür, dass ich noch da bin. Positiv ist die Chance, auf ein generelles Problem in der Gesellschaft aufmerksam zu machen, das über meine Befindlichkeit hinausgeht.

Wie geht es Ihnen gerade?

Hollstein Eigentlich ganz gut. Ich könnte mir schönere Anlässe für ein Interview vorstellen und hätte auf den ganzen Rummel verzichten können, aber das gehört in so einer Situation eben dazu.

Sie haben am Nachmittag einen Blumenstrauß im Dönerimbiss vorbeigebracht. Was haben Sie der Inhaber-Familie Demir gesagt?

Hollstein Danke. Letztendlich waren vor allem Vater und Sohn kausal, dass ich noch lebe und dass nichts Schlimmeres passiert ist.

Sie kannten die beiden schon vorher?

Hollstein Ja klar, das ist der Döner bei mir um die Ecke. In einer Kleinstadt kennt man sich. Es ist auffällig, dass ich den Täter nicht kannte. Ich will nicht sagen, dass ich jeden kenne, aber die meisten hat man nach mehr als 20 Jahren Kommunalpolitik und Sport und Schule und was da alles war, ja dann auch schon kennengelernt.

Meinen Sie, dass die Familie Demir Schutz braucht, so wie der Staatsschutz ja auch für Sie Personenschützer ins Gespräch gebracht hat?

Hollstein Ich glaube nicht, dass ich Personenschutz bekomme. Es wird ab und an mal ein Polizeiwagen mehr bei mir am Haus vorbeifahren. Anders wäre das gar nicht machbar. Wenn wir jeden deutschen Kommunalpolitiker und — nicht negativ gemeint — Provinzbürgermeister mit Personenschutz beglücken würden, was wäre dann mit den ehrenamtlichen Ratsherren? Auch bei denen habe ich schon erlebt, dass ihre Konterfeis auf Bildern im Netz an Galgen montiert wurden. Weder für die Familie Demir, noch für meine Familie besteht im Moment irgendeine akute Gefahr. Wenn ich das denken würde, wäre ich jetzt nicht hier im Auto, sondern dann hätte ich mir meine Familie geschnappt und wäre schon weg.

In der Pressekonferenz, die Sie heute gegeben haben, haben Sie zu mehr Toleranz aufgerufen — auch gegenüber der AfD. Das überrascht etwas, da Sie ja von jemandem verletzt wurden, dessen Haltung zumindest augenscheinlich mit vielen AfD-Positionen übereinstimmt.

Hollstein Man muss weiter versuchen, Dialogforen aufzubauen — auch wenn das schwierig ist, wenn man im Netz oder per Mail anonym beschimpft wird. Ich glaube aber, dass Dialog generell sinnvoll ist. Ob das immer gelingt, kann ich nicht sagen. Es gibt sicherlich auch Grenzen — wenn beispielsweise Menschen verunglimpft werden. Aber dass man miteinander spricht, dass man sich nicht nur beschimpft — auch in der Politik -, sondern versucht, sachlich zu argumentieren, auch wenn das weniger spektakulär ist, das ist von Nöten. Ich sehe da ein generelles gesellschaftliches Problem. Ich kenne das von meinen Feuerwehrkollegen, die von Gaffern beiseite geschubst werden. Ich kenne das von Rettungssanitätern, die bei ihrer Arbeit behindert werden. Ich weiß, dass Ordnungsamtsmitarbeiter und Polizisten beschimpft werden. Das sind Alarmsignale einer Gesellschaft. Wir müssen gemeinsam gucken, wie man das besser machen kann. Ich habe aber nicht das Patentrezept.

Haben Sie keine Wut in sich, nachdem Sie so angegriffen wurden?

Hollstein Der Mensch, der das gemacht hat, tut mir leid. Er ist durch eine persönliche Notsituation in eine Zwangsläufigkeit gekommen. Er hat das Gift von anderen getrunken und ist dann selbst zum Werkzeug geworden. Nicht, dass ich eine große Sympathie für ihn hege — aber Hass sicherlich auch nicht. Die Verantwortung für das gesellschaftliche Klima tragen andere Menschen, die mit verbaler Extremstgewalt gegen andere vorgehen. Das habe ich heute neben vielen sehr zusprechenden und netten Begegnungen, Anrufen und Mails eben auch in meinem Mailpostfach gefunden: Hassmails. Das bereitet den Boden für solche Handlungen.

Es kursiert das Gerücht in Altena, dass Ihr Angreifer Ihnen mehrfach geschrieben haben soll mit der Bitte um Hilfe.

Hollstein Das ist definitiv falsch. Es gab keinerlei Kontaktaufnahme. Ich kannte den Menschen weder vom Angesicht noch dem Namen nach. Meine E-Mails und Briefe werden korrekt bearbeitet, und ich kann sagen, dass ich mit Herrn S. definitiv noch nie was zu tun gehabt habe.

(hpaw)
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