Revoluzzer in der Schule Das waren die Abistreiche 1969

Viersen · Über die eskalierenden Abi-Streiche lächeln die Abiturienten des Jahrgangs 1969 nur müde. Reinhold Michels erklärt, was "Aktion Katze aus dem Sack" hieß und wie das Fußballtor vor die Tür des Oberstudiendirektors kam.

 Unser Autor Reinhold Michels.

Unser Autor Reinhold Michels.

Foto: Michels

Die Oberprima - so hießen damals die Jahrgangsstufe 13 - des Städtischen Neusprachlichen Gymnasiums Viersen-Dülken hatte bei Schuldirektor Hans Kühne und dem Kollegium einen Ruf wie Donnerhall. Auch die aktuellen Abiturienten hauen auf den Putz und lassen es krachen. Wäre nicht hier und da Körperverletzung im Spiel, würde ich sagen: "Wenig Neues unter der Sonne." Es war, ist und wird immer das Privileg der Jugend sein, von Zeit zu Zeit über die Stränge zu schlagen. Ausschreitungen ins Vulgäre und Kriminelle gehören da natürlich nicht dazu.

Abiturienten wie im Film "Feuerzangebowle"

Auf unserer Oberprima-Provinzbühne gab es die Braven, etwa die Lehrersöhne Norbert und Peter. In der Abi-Zeitung stand bezeichnenderweise unter Norberts Foto: Wohlerzogen zu sein, sei eine Tugend. Sie schließe einen aber von so vielem aus.

Der Großteil der Klasse bestand indes aus Schülern wie im berüchtigten Film "Feuerzangenbowle": unernst, durchtrieben, aufmüpfig, einfallsreich beim Aushecken von Streichen auch der gewagteren Art. Fräulein K., die Erdkundelehrerin, entsetzte sich: "Sie sind ja alles Revolutionäre!" Fräulein K. hatte zuvor die Tafel aufgeklappt und dort den damals moralisch unerhörten 68er-Spruch lesen müssen: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment."

Anders als bei den heute üblichen Abi-Motto-Tagen zogen sich bei uns die herrlichen Zeiten fehlender sittlicher Reife über Wochen und Monate hin. Zu Karneval bauten wir in Viersen-Dülken einen mit knallrotem Tuch ummantelten großen Bauernwagen. Auf dem knallroten Grund stand wiederum ähnlich wie an Fräulein K's Tafel viel Revoluzzerdeutsch geschrieben. Das hätte jedem Bürger jenseits der 50 die Haare zu Berge stehen gelassen - wenn nicht Rosenmontag gewesen wäre.

Die Kommune bei Friedel A.

Unsere "Kommune" war seit Längeren schon die Scheune von Friedel A. Dort fanden die sagenhaft aufregenden Nachtfeten statt, bei denen sich auf und neben Heuballen die durch Melodien aus den Sechzigern zusätzlich animierten Jungs und Mädels näher kamen, als es den ahnungslosen Eltern daheim lieb gewesen sein mochte.

Auf einer der legendären Nachtwanderungen zu Friedels Scheune hoben wir einen korrekt am Straßenrand geparkten Kleinwagen auf den Gehweg, direkt vor den Hauseingang. Oberstudiendirektor K. verbarrikadierten wir eines späten Abends die Haustür mit einem Fußballtor. Dem Geschichtslehrer M. beklebten wir die Glasbausteine seines Bungalows mit frech beschrifteten Zetteln. Lehrer M. wurde durch den Lärm vor seinem Haus aus dem Schlaf geweckt und nahm Revanche. Es war gegen zwei oder drei Uhr nachts, wir erhielten zwei Putzeimer mit heißem Wasser und dazu eine Bürste: "Bis morgen früh ist das alles weg hier, ich will keinerlei Rückstände sehen." So begann eine elende Schrubberei, bis Papier und Leim restlos beseitigt waren. Die erfolgreiche Plackerei bewährte uns immerhin vor ärgeren Sanktionen.

Aktion "Katze aus dem Sack"

Den mit Abstand gravierendsten Abi-Streich stellten unsere berüchtigten AKADS-Aktionen dar. Das Kürzel AKADS war ein Codewort, das nur dem kleinen Kreis der Schummel- Aktivisten etwas sagte: Aktion Katze aus dem Sack, heute 15 Uhr. Wenn es soweit war, stand jedes Mal eine Französisch- Klassenarbeit bei Studienrat K. bevor.

Wir hatten die nur für Lehrer bestimmten Hefte in die Hände bekommen, aus denen sich auch Französisch-Lehrer K. für seine Klausuren bediente. Bei den geheimen AKADS-Sitzungen ging es nun darum, anhand der vom Studienrat K. genannten neuen Vokabeln und Wendungen genau den Text zu ermitteln, der für die Klassenarbeit vorgesehen war. Manchmal dauerte es Stunden, bevor die "Findungskommission" erfolgreich war.

Den anschließend vervielfältigten Text aus dem Lehrerheft erhielten dann auch die Braven und Bangen in der Oberprima, die nicht zum AKADS-Suchtrupp gehörten. Ich glaube, dass es am Viersen-Dülkener Gymnasium vor und nach 1968/69 keine Oberprima mit besseren Französisch-Noten gegeben hat.

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