Oh, wie schön ist Karneval

Vor einigen Tagen habe ich Sie, liebe Leser, mit einer Schilderung meines Lampenfiebers belästigt. Ich sollte zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Karnevalswagen mitfahren.Einerseits eine einmalige Gelegenheit für einen aus Norddeutschland Zugezogenen, andererseits war ich aber auch ganz schön nervös.

Viele meiner spießigen Ängste waren glücklicherweise vollkommen unbegründet. Etwa die Sorge, ich könnte in einem mit goldenen Pailletten bestickten Sakko, mit goldener Fliege und einem goldenen Zylinder möglicherweise etwas unseriös wirken. Das Gefühl verschwindet in einer Gruppe von 25 Menschen mit goldenen Paillettensakkos und goldenen Zylindern sofort und kommt auch nie mehr wieder. Nicht mal bei der Rückfahrt allein in der U-Bahn.

Auf Rat der Kollegen hatte ich das Risiko von Frostbeulen von vorneherein durch den geschickten Einsatz von im Verwandtenkreis zusammengeborgter Funktionsunterwäsche minimiert. Dabei bin ich sogar übers Ziel hinausgeschossen: Da ein Paillettensakko ähnlich funktioniert wie ein Sonnenkollektor, wäre ich am Ende fast dehydriert, denn die Aufnahme von Flüssigkeit hatte ich gegen Mitternacht des Vortags vorsichtshalber eingestellt - um die Benutzung der Behelfstoilette auf dem Karnevalswagen zu vermeiden. Leider konnte ich während der Fahrt nicht einmal das Stirnband aus Fleece ablegen, denn es war das einzige, was meinen Zylinder daran hinderte, mir über Ohren und Augen zu rutschen.

Das wiederum war gut, denn so konnte ich Milliarden und Abermilliardenfröhlicher Menschen sehen, die am ersten Sommerwochenende des Jahres, mitten in der Fastenzeit ausgelassen und friedlich Karneval feierten. Viele waren verkleidet: als Prinzessinnen, Eisbären, Piraten oder Superhelden; manche waren offenbar sogar aus Nordafrika angereist und einige klangen fast ein bisschen wie Kölner.

Und ich habe eine neue Leidenschaft entdeckt: Kamelle werfen. Anfangs habe ich versucht, Kinder glücklich zu machen, die mit ihren kleinen, gierigenHänden nach Bonbons greifen, von deren Verzehr ein anständiger deutscher Zahnarzt vermutlich eher abraten dürfte. Doch dann habe ich etwas viel, viel Besseres entdeckt: Haben Sie mal beobachtet, was passiert, wenn man nach einem verlängerten Wochenende Fischfutter in ein Aquarium ausgehungerter Guppys streut? Exakt dasselbe geschieht, wenn man gelbe Plastikentchen in Grüppchen angetrunkener Damen mittleren Alters wirft. Groß-ar-tig!

Das hätte mir doch mal vorher jemand sagen können, dass Karneval so lustig ist! Dann hätte ich mir bestimmt nicht solche Sorgen gemacht. Im nächsten Jahr würde ich jedenfalls gern wieder mit auf den Wagen. Wenn ich darf. Bitte!

Stefan Weigel

(RP)
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