Düsseldorf "NRW ist nicht mehr das stärkste Land"

Düsseldorf · Norbert Lammert (CDU), Bundestagspräsident aus Bochum, stichelt in seiner launigen Festrede im Düsseldorfer Landtag gegen die rot-grüne Regierung und fordert die Jugendlichen auf, sich für die Politik zu engagieren.

Diesen Seitenhieb mochte sich der Bundestagspräsident nicht verkneifen: Nordrhein-Westfalen sei zwar "das größte Land", sagte Norbert Lammert (und meinte damit: das bevölkerungsreichste), aber "nicht mehr das unbestritten stärkste unter den Bundesländern". Wer von den Zuhörern erhofft oder befürchtet hatte, der prominente CDU-Politiker würde nun eine Bilanz rot-grüner Landespolitik auffächern, wurde rasch eines anderen belehrt. Nur so viel sagte er: Für diese Entwicklung gebe es viele Gründe - auch solche, für die man selbst verantwortlich sei.

Lammert, der im Düsseldorfer Landtag die Festrede zum 70-jährigen Bestehen des Parlaments hielt, war bester Stimmung und verbreitete sie auch. Er habe erst am Vortag "eine der erstaunlichsten Mitteilungen" seiner parlamentarischen Laufbahn erhalten. Wegen der TV-Übertragung sei er gebeten worden, mindestens 25 Minuten zu sprechen - "gerne etwas länger, aber keinesfalls kürzer". Ein solches Geschenk werde einem Parlamentarier "eigentlich nie gemacht". Daher sei er "immer noch hingerissen".

Der Bundestagspräsident, der aus Bochum stammt und dort auch mit seiner Familie wohnt, verwies in seiner launigen Ansprache darauf, dass unter den 216 Politikern des ersten gewählten Landtags nur 15 Frauen gewesen seien: "Da hat sich vieles geändert." Lammert unterstrich die Bedeutung von Föderalismus und Parlamentarismus, auch wenn beide Themen "nicht sonderlich populär" seien. Zugleich forderte er die Jugendlichen auf, sich politisch zu engagieren. Viel Beifall bekam er für seine Mahnung: "Politik kann immer nur so gut sein, wie die Leute, die sich dafür zur Verfügung stellen. Jeder, der sich zu gut für die Politik hält, muss wissen, dass er sie damit anderen überlässt, die er für schlechter hält."

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) mochte den Seitenhieb Lammerts wohl nicht unwidersprochen lassen: Sie dankte dem Landtag für die "gute Arbeit", die dazu beigetragen habe, dass Nordrhein-Westfalen "zu einem starken Bundesland geworden ist". Ausdrücklich lobte sie den Einsatz der Abgeordneten, die Politik nicht für sich selbst, sondern für die Bürger machten. Sie alle eine ein "unbändiger Wille", Politik zu gestalten und damit das Leben der Menschen stetig zu verbessern. Es sei bedenklich, dass der Respekt für diese Arbeit abgenommen habe. Man dürfe aber nicht nachlassen, um das "Vertrauen für unsere Demokratie und unser Parlament" zu werben.

Zuvor hatte Präsidentin Carina Gödecke den Landtag als ein Parlament gewürdigt, "in dem Freiheit, Toleranz und Respekt zählen und in dem jede Form von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt und Intoleranz eine deutliche Abfuhr erfährt".

Zu den musikalischen Darbietungen im Rahmen des Festaktes saßen Gödecke, Lammert und Kraft auf Sesseln mitten im Zentrum des kreisrunden Plenarsaals. Geradezu herzzerreißend, wie tapfer einzelne Mädchen und Jungen der Grundschule Herkenrath nacheinander vor den drei Politikern die "Ode an die Freude" und "Heal the world" sangen, obwohl ihre Solostimmen wegen der schwachen Mikrofonanlage kaum zu vernehmen waren. Dafür erhielten die Kinder umso kräftigere Unterstützung von dem Schülerchor. Beifallsstürme erntete auch das Orchester der Grundschule Schönforst (Aachen). Die Kinder der Streicherklasse fiedelten, was das Zeug hielt. An dem anschließenden Empfang der zahlreichen Ehrengäste - unter ihnen auch die frühere Landtagspräsidentin Ingeborg Friebe und der ehemalige Vizepräsident Hans-Ulrich Klose - nahm Hannelore Kraft allerdings nicht mehr teil. Ihre Mutter ist kürzlich im Alter von 81 Jahren gestorben.

Während im Landtag daran erinnert wurde, dass das von der britischen Besatzungsmacht ernannte NRW-Parlament am 2. Oktober 1946 im Düsseldorfer Opernhaus zu seiner ersten Sitzung zusammenkam, versammelten sich draußen vor dem Landtag rund 1500 Menschen, davon viele mit Behinderung, um gegen das geplante Bundesteilhabegesetz zu protestieren. Sie skandierten: "Wir sind hier. Wir sind laut, weil ihr unsere Rechte klaut." Allerdings wurde das Gesetz in Berlin und nicht in Düsseldorf ersonnen.

(hüw)
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