Demo-Absage in Essen Wie es in der SPD wegen der Flüchtlingskrise gärt

Essen · Drei Essener SPD-Ortsvereine riefen zu einer Demonstration gegen zu viele Flüchtlinge in ihren Stadtteilen auf – und mussten dann ganz schnell absagen. Die Landespartei ist dennoch alarmiert.

 Flüchtlinge versammeln sich am 29. September 2014 vor einer Flüchtlingsunterkunft in Essen.

Flüchtlinge versammeln sich am 29. September 2014 vor einer Flüchtlingsunterkunft in Essen.

Foto: dpa, rwe lof

Drei Essener SPD-Ortsvereine riefen zu einer Demonstration gegen zu viele Flüchtlinge in ihren Stadtteilen auf — und mussten dann ganz schnell absagen. Die Landespartei ist dennoch alarmiert.

Seit Monaten liegen CDU und CSU wegen der Flüchtlingspolitik im Streit. Jetzt nimmt auch in der SPD die Diskussion an Schärfe zu. Drei SPD-Ortsvereine aus dem Essener Norden hatten zunächst für Dienstag zu einer Kundgebung aufgerufen. Sie befürchteten, dass Flüchtlingsheime ausgerechnet in ihren Stadtteilen gebaut würden, in denen ohnehin schon sehr viele Migranten wohnten. Nachdem sich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) schon am Samstag distanziert und die von ihr geführte Landes-SPD deswegen interveniert hatte, wurde die Aktion gestoppt.

Nicht nur der Druck der Landespartei hat zur Absage geführt. Offenbar griffen Rechtsradikale den Slogan der Ortsvereine auf. Die Sozialdemokraten hatten mit dem Spruch "Genug ist genug. Integration hat Grenzen. Der Norden ist voll" zur Kundgebung eingeladen. Das ist inhaltlich nahe am NPD-Slogan "Das Boot ist voll". Ein SPD-Funktionär hatte sogar zur Blockade einer Straße öffentlich aufgerufen.

Viele Rechtsradikale kündigten daraufhin ihre Teilnahme an. Darum erklärte auch der Essener SPD-Ratsherr Guido Reil, der vor Wochen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung massiv öffentlich angegriffen hatte, die Kundgebung könne nicht stattfinden: "Es war richtig, die Demonstration abzusagen, weil rechte Trittbrettfahrer uns unterwandert hätten. Mit Nazis oder Rechtsradikalen haben wir aber nichts am Hut. Aber umso wichtiger ist, dass die Politiker der Volksparteien offener die Probleme der Integration ansprechen."

Befragte SPD-Politiker im Land begrüßen, dass Landeschefin Kraft sich gegen die Kundgebung aussprach. "Die Frage, wo Flüchtlinge leben sollen, muss im Stadtrat diskutiert werden, da kann ein Ortsverein keine Demonstration organisieren", sagt Andreas Rimkus, SPD-Chef in Düsseldorf. Petra Weber, Vorsitzender der SPD in Wermelskirchen. versteht zwar die Sorgen der Parteifreunde in Essen wegen der örtlichen Verteilung, sieht aber das Risiko, dass "andere Gruppierungen auf den Zug aufspringen." Dietmar Bexkens, Ortsvereinsvorsitzender in Geldern sagt: "Hannelore Kraft hat richtig reagiert. Sie hat klare und richtige Worte gefunden."

Ursachen der großen Flucht
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Foto: ALESSANDRO BIANCHI

Udo Schiefner, Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Viersen, sagte unserer Redaktion, er halte die Aktion der SPD-Ortsvereine in Essen für "inakzeptabel", das sei von den Ortsvereinen "sehr ungeschickt". Er habe kein Verständnis für diese "Sache, die die Grundwerte der SPD nicht widerspiegelt". Schiefner sagte weiter: "Sollte es in Essen ein Ungleichgewicht in der Verteilung geben und dies zu Problemen führen, müsse sich die Stadt darum kümmern. Auch wir erleben im Kreis Viersen Unsicherheit und Verängstigung. Ich bin aber stolz darauf, dass es viele Menschen im Kreis Viersen gibt, die Flagge zeigen und den Flüchtlingen gegenüber sehr hilfsbereit sind." Die Frage, ob die Flüchtlinge im Kreis Viersen gerecht auf einzelne Orte verteilt seien oder nicht, stelle sich nicht, die Situation im Kreis sei mit der großer Städte im Ruhrgebiet nicht vergleichbar.

Den Ängsten und Unsicherheiten müsse die Politik entgegenwirken, indem sie in den nächsten Wochen und Monaten zeige, dass sie das Heft in der Hand halte, "sonst wird die Verunsicherung größer". Schiefner: "Wir müssen zeigen: Wir haben einen Plan, wir gehen danach vor. Und da hilft es nicht, wenn fünf Politiker sieben verschiedene Meinungen haben." Das gelte auch für die Abstimmung mit anderen EU-Ländern. "Für mich ist Europa eine Wertegemeinschaft, und wer dem nicht nachkommt, wer diese Werte nicht akzeptiert, der muss das auch spüren, beispielsweise durch Subventionskürzungen."

Ralph-Harry Klaer, SPD-Vorsitzender für Krefeld will die Vorgänge in der Essener SPD grundsätzlich nicht kommentieren, da er keinen direkten Kontakt zur SPD in Essen habe. Unserer Redaktion sagte er aber, dass er die Verlautbarung der Essener SPD teile und glaube, dass Frau Kraft richtig reagiert hat.

Anders sieht die Absage der Buchautor Thilo Sarrazin ("Deutschland schafft sich ab"), der trotz seiner umstrittenen Ansichten zu Migranten noch immer in der SPD ist: "Das wirkt wie Tugendterror. Es kommt mir nicht sehr geschickt vor, solche Meinungen zu unterdrücken." Ähnlich sieht das der Meinungsforscher Klaus Peter Schöppner: "Es wirkt verheerend, eine solche Kundgebung zu verhindern. Es gibt viele Menschen, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Die sehen sich in dieser Haltung nun bestätigt."

Dabei geht der Streit um die Flüchtlingspolitik erst los. Ratsherr Reil berichtet, dass viele Kommunalpolitiker seiner Partei und auch der CDU seine kritische Haltung teilen: "Im Internet gibt es geschlossene Nutzergruppen, in denen sich Sozialdemokraten austauschen, die die jetzige Flüchtlingspolitik für völlig falsch halten. Aber Bundes- und Landespolitiker halten sich vorerst noch an den von oben verordneten Zweckoptimismus."

Die Landes-SPD nimmt die Position der Essener Ortsvereine, die an ihrer Kritik festhalten, ernst. So war Generalsekretär André Stinka gestern vor Ort zur Krisensitzung in Essen. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, stellvertretender SPD-Chef in Essen, sagt: "Wir brauchen eine intelligentere Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland. Da müssen wir auch prüfen, in welchen Regionen es Leerstände gibt."

(kowa)
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