Unsere Serie Flussfahrt Wen wählen eigentlich Millionäre?

Meerbusch · Wer Geld hat, wählt CDU oder FDP - das ist eine weit verbreitete These. Stimmt das? Ein Besuch in NRWs Millionärshauptstadt Meerbusch.

 Die Hindenburgstraße liegt im Zentrum von Meererbusch im Stadtteil Büderich. Das Villenviertel ist eines der teuersten Wohngebiete Deutschlands.

Die Hindenburgstraße liegt im Zentrum von Meererbusch im Stadtteil Büderich. Das Villenviertel ist eines der teuersten Wohngebiete Deutschlands.

Foto: Reichwein

Sie ist die Stadt im Grünen. So zumindest wird Meerbusch gerne genannt - von Lokalpatrioten, von Marketing-Experten, von Maklern. Nah an Düsseldorf gelegen, wenige Autominuten von Neuss und Krefeld entfernt, ist Meerbusch ländlich, wohnlich, familienfreundlich.

Meerbusch ist aber auch die Stadt der Millionäre: 70 Einkommensmillionäre lebten dort im Jahr 2010. Damit ist Meerbusch die Stadt in NRW mit den meisten Einkommensmillionären je 10.000 Einwohner.

32.765 Euro bleiben übrig

Und auch den Menschen ohne Millionen auf dem Konto geht es dort oft besser als andernorts: Blickt man auf das verfügbare Einkommen je Einwohner, also das Einkommen, das nach Abzug aller finanziellen Verpflichtungen bleibt, belegt Meerbusch mit im Schnitt 32.765 Euro pro Jahr und Einwohner Platz sieben im NRW-Vergleich.

Städte wie Meerbusch gibt es einige im Land: Sie liegen im Speckgürtel von Düsseldorf, im Sauerland, in Westfalen. Dort leben die Besserverdiener und die Reichen. Als reich gilt laut Bundesarbeitsministerium, wer über mehr als das Doppelte des mittleren Nettoeinkommens verfügt. 2015 lag das nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 20.668 Euro pro Jahr.

Wirkt sich ihre finanzielle Situation auf das Wahlverhalten aus? Ja, sagen Wissenschaftler. "Gerade bei besonders Reichen, den Millionären, ist das Wahlverhalten stark interessengeleitet: Wer viel besitzt, spricht sich für Steuersenkungen aus - und wählt oft CDU oder FDP", sagt Tim Spier, Wahl- und Parteienforscher an der Universität Siegen. Das Klischee des konservativen Reichen, der die CDU wählt, oder des Unternehmers, der immer für die FDP votiert - stimmt es also?

17,9 Prozent für die FDP

Blickt man etwa auf die Wahlergebnisse der vergangenen Jahrzehnte für Meerbusch, lautet die Antwort: ja. Sowohl auf kommunaler Ebene als auch bei Landtags- und Bundestagswahlen war die Union stets stärkste Kraft. Bis einschließlich zur Kommunalwahl 2004 hatte die Union im Rathaus die absolute Mehrheit, regiert heute mit den Grünen. Landespolitisch sieht es ähnlich aus: 2005, 2010 und 2012 holte Lutz Lienenkämper von der CDU im Wahlkreis Rhein-Kreis-Neuss III, zu dem Meerbusch mit Kaarst, Jüchen und Korschenbroich gehört, den Sieg.

Auch die FDP fährt immer wieder besonders gute Ergebnisse bei Wahlen in Meerbusch ein: Bei der Landtagswahl 2012 holte sie zum Beispiel 17,9 Prozent der Zweitstimmen. Grundsätzlich wählt Meerbusch also konservativ. Große Teile der Bevölkerung wählen aber auch liberal.

1,23-mal so stark wie im gesamten Bundesland war die CDU bei der Landtagswahl 2012 im Wahlkreis, die Liberalen waren sogar 1,73-mal stärker als in Gesamt-NRW, hat der Sozialwissenschaftler Patrick Bernhagen von der Universität Stuttgart ausgerechnet. "Der Eindruck, dass die hier überproportional vertretenen Reichen ihre Stimmen auch überproportional den beiden rechtsbürgerlichen Parteien schenken, deckt sich mit der Forschung zum Zusammenhang von Klassenzugehörigkeit und Parteiwahlentscheidung", sagt er.

Die Wahl scheint in der Stadt also schon entschieden. Zumindest wirkt das so, wenn man mit Meerbuschs Politikern und Bürgern spricht. "Die Menschen würden hier sogar eine Mülltonne wählen, solange sie nur schwarz ist", sagen jene, die das kritisch sehen. "Warum sollte man etwas anderes wählen, wenn es läuft", sagen jene, die das Sagen haben.

Einen Wandel erhofft sich Nicole Niederdellmann-Siemes. Zweimal ist sie in Meerbusch für die SPD zur Landtagswahl angetreten, zweimal ist sie an CDU-Konkurrent Lutz Lienenkämper gescheitert. Er ist Ex-Verkehrsminister und derzeit Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion im Landtag. Ein Zusammenhang zwischen Einkommen und einem eher konservativen Wahlverhalten sei nicht von der Hand zu weisen, sagt sie. "Aber ich glaube, dass diese Menschen auch die Zukunft anders gestalten wollen."

"Viele Besserverdiener wählen die Grünen"

Um sie will die Politikerin werben - und um die klassischen SPD-Wähler, die Arbeiter. Um jene, die nicht im Meerbuscher Villenviertel zu Hause sind, sondern zum Beispiel in der Böhlersiedlung leben. Die Siedlung ist ein seltener Fleck günstigen Wohnraums in Meerbusch. 43,2 Prozent der Erststimmen holte Niederdellmann-Siemes 2012 in diesem Bezirk. Außerhalb der Siedlung muss sie um jede Stimme kämpfen.

Oliver Keymis, Kandidat der Grünen im Wahlkreis, glaubt ebenfalls, dass konservative Werte bei den gut situierten Wählern ziehen. Das bringe auch Vorteile für seine Partei: "Über uns Grüne wird auch oft gesagt, dass wir eine Partei der Besserverdiener sind", sagt er. Schließlich vertritt seine Partei bei Themen wie Umweltschutz auch immer wieder eine eher konservative Haltung. Keymis' These bestätigt auch Wahlforscher Spier: "Viele Besserverdiener wählen die Grünen. Damit sind aber nicht die Millionäre gemeint."

Bei diesen ist in Meerbusch vor allem eine Partei gefragt: die FDP. Xaver Zimmerer ist zum Beispiel einer von diesen Meerbusch-Millionären. Er lebt im Villenviertel und wird sein Kreuz für die FDP machen. So hat er es immer getan. "Die CDU hat mir nie getaugt." Er sei Kaufmann, da müsse die Kasse stimmen.

Zwischen Büderich und Bösinghoven gibt es aber nicht nur Menschen mit einer dicken Brieftasche, betont Dirk Thorand, Vorsitzender des Vereins "Meerbusch hilft", der sich um Flüchtlinge und Bedürftige in der Stadt kümmert. Laut Stadt erhalten in Meerbusch 240 Haushalte Wohngeld, zuletzt waren 1253 Menschen arbeitslos.

Ein einfaches Urteil über die Stadt ist somit nicht möglich. Gleiches gilt für ein Urteil über reiche Wähler. Oft wählen sie CDU oder FDP. Aber eben nicht immer. Millionärsstadt Meerbusch - das ist so einfach, und dann doch nicht einfach.

Die Reportage über Meerbusch auf unserer virtuellen Kajak-Tour und alle anderen Teile der Serie finden Sie unter www.rp-online.de/flussfahrt

(lai)
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